Vorkommen und Bewertung in Häusern aus den 1970er- und 1980er-Jahren: In Teil 1 dieses Artikels ging es um Messergebnisse zu Schadstoffen wie Pestizide, Formaldehyd, Carbonsäuren, Fasern sowie Chloranisole. Letztere können Ursache für einen muffig-schimmeligen Geruch sein. Nun werden die Messergebnisse an einem realen Projekt erläutert und bewertet.

Gutachterliche Bewertung

Neben der technischen Analytik stellt die Bewertung der Messergebnisse die größere Herausforderung dar. Rechtlich verbindlich sind existierende Richtwerte. Diese beziehen sich in der Regel auf toxische, also gesundheitlich wirksame Raumluftkonzentrationen und werden meist von Bundes- oder Landesbehörden, wie dem Umweltbundesamt oder Landesgesundheitsbehörden, erarbeitet und veröffentlicht.

Es werden zwei Richtwerte (RW) angegeben: RW I stellt einen Vorsorgewert dar, RW II markiert unverzüglichen Handlungsbedarf. Aus Vorsorgegründen sollte auch im Bereich zwischen RW I und RW II gehandelt werden. Allerdings basieren diese Richtwerte auf Einzelstoffbetrachtungen und lassen synergistische Wirkungen von Schadstoffgemischen außer Acht. Wenn mehrere Schadstoffe zusammenwirken, können sich ihre Wirkungen addieren oder überproportional verstärken [7].

Die Richtwerte RW I und RW II sind z. B. für PCP verfügbar. Für Lindan existiert jedoch derzeit kein solcher Richtwert, daher werden die Richtwerte für PCP auch für Lindan angewendet. Für die Konzentrationen an niederen Fettsäuren wie Essig- oder Ameisensäure existieren ebenfalls keine Richtwerte. „Für die Bewertung von niederen Carbonsäuren in der Raumluft existieren bisher keine Grenz- bzw. Richtwerte. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte des IRK1 und der AOLG2 hatte im Jahr 2011 einen Richtwert II (Gefahrenwert) für Essigsäure von 400 μg/m3 vorgeschlagen. Daraus würde sich unter Anwendung bisheriger Ableitungsfaktoren von 2,5 – 10 eine Spanne für den Richtwert I (Vorsorgewert) für Essigsäure von 40 – 160 μg/m3 ableiten.

Der aktuelle Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) für die Ameisensäure liegt mit 20 mg/m3 um den Faktor 2 niedriger als der AGW der Essigsäure mit 40 mg/m3. Demnach würde sich ein Vorsorgewert für Büro- und Wohn- Innenräume für Ameisensäure von 20 – 80 μg/m3 und ein Gefahrenwert von 200 μg/m3 ergeben. In Museen wird zum Schutz vor der Korrosionswirkung von Essigsäure ein Zielwert von 100 μg/m3 zugrunde gelegt.“ [8]

Der Autor schlägt eine umfassendeund mehrstufige Betrachtung unter Berücksichtigung mehrerer „Richtwerte“ vor. Zunächst wird die Bewertung anhand der Richtwerte der Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Innenraumlufthygiene- Kommission beim Umweltbundesamt sowie der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden vorgenommen. Empfehlungswerte liegen beispielsweise in Form des „Standard der Baubiologischen Messtechnik“ vor [9]. Die baubiologischen Richtwerte sind als Vorsorgewerte zu verstehen und berücksichtigen die oben erläuterten möglichen additiven und/oder überproportionalen Wirkungsverstärkungen von Schadstoffgemischen.

Statistische Orientierungswerte veröffentlicht die Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute (AGÖF). „Als Hilfestellung für die Bewertung von Innenraumluftmessungen wurden daraus statistisch abgeleitete Auffälligkeitswerte für die Raumluft ermittelt […]. Anhand von Orientierungswerten können Messergebnisse bezüglich einer statistischen Wahrscheinlichkeit eingestuft und damit in ihrer Relevanz für die Suche nach Ursachen gesundheitlicher Beschwerden gewichtet werden. Die Bewertung eines konkreten gesundheitlichen Risikos ist mit den Orientierungswerten nicht möglich“ [10]. Ferner geben in Einzelfällen rechtskräftige Urteile Anhaltspunkte zur Bewertung einer Schadstoffbelastung.

Im Sinne einer umfassenden Bewertungder Messergebnisse sollten alle vorgenannten Bewertungsmaßstäbe in der ihnen zugedachten Art und Weise in die Bewertung der Messergebnisse mit einfließen. Letztlich bleibt im Fall der Untersuchung von Fertighäusern auch die Möglichkeit von Sekundärkontaminationen zu berücksichtigen. Die aus dem Ständerwerk entweichenden schwerflüchtigen Pestizide können andere Baustoffe wie z. B. Fußbodenbeläge sekundär belasten.

Raumluftuntersuchung Essigsäure

Praktische Relevanz

Um die bisherigen Ausführungen zu verdeutlichen, soll hier die Untersuchung eines Fertighauses dargestellt werden. Diese zeigt, dass die alleinige Begutachtung von Pestiziden, Chloranisolen und Formaldehyd, wie sie oftmals anzutreffen ist, nicht ausreichend ist. Die Grafiken zeigen zunächst exemplarisch die Raumluftkonzentrationen an wesentlichen Schadstoffen in dem betroffenen Objekt.

Es ist gut zu sehen, dass die wesentlichen Pestizide, Pentachlorphenol und Lindan nur in niedriger Konzentration in der Raumluft zu finden sind. Auch konnte in diesem Objekt keine Geruchsbelästigung festgestellt werden. Die wesentlichen geruchsaktiven Substanzen, die Chloranisole, lagen ebenfalls in sehr geringer Konzentration vor. Die Untersuchung der Aldehyde ergab keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.

Wäre die Messung an dieser Stelle beendet worden, müsste das Objekt als nur gering schadstoffbelastet eingestuft werden. Die Grafiken zeigen jedoch die Ergebnisse der Untersuchung der Raumluft auf Essigsäure und Ameisensäure.

Es ist deutlich zu sehen, dass vor allem Essigsäure in extrem erhöhter Konzentration in der Raumluft vorhanden ist. Sogar der Gefahrenwert (RW II), welcher einen unverzüglichen Handlungsbedarf markiert, wird hier überschritten.

Auch die Ameisensäure wurde in relevanter Konzentration in der Raumluft nachgewiesen. Der Vorsorgewert wird überschritten. Dieses Beispiel macht klar, dass die Untersuchung der Carbonsäuren in der Raumluft von Fertighäusern und Holzhäusern ein notwendiger und zwingender Bestandteil bei der Bewertung solcher Objekte ist.

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Konsequenzen unvollständiger Begutachtung

Eine unvollständige Begutachtung kann erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wird ein Objekt veräußert und fälschlicherweise als gering / unbelastet eingestuft und es stellt sich im Nachhinein heraus, dass dem nicht so ist, steht die Finanzierung des Objekts in Frage. Auch eine potenzielle Gesundheitsgefährdung kann durch eine nicht umfassend genug angelegte Begutachtung „übersehen“ werden. Zudem bleibt zu beachten, dass eine aktuell kaum wahrnehmbare Geruchsentwicklung sich durch Sanierungsmaßnahmen wie den Einbau neuer Fenster oder auch einfach nur durch den Faktor Zeit intensivieren kann. Somit können die Bewohner einer „sozialen Toxizität“ [11] ausgesetzt sein, da der muffig-schimmelige Geruch, der bei der Freisetzung der Chloranisole in die Luft entsteht, sich z. B. in der Kleidung festsetzt.

Fazit

Ältere Fertighäuser stellen erhöhte Anforderungen an die gutachterliche Bewertung, da sowohl Schadstoffe wie auch Fasern und Schimmelpilze berücksichtigt werden müssen. Die Bewertung sollte nach einem umfassenden Ansatz erfolgen, wobei teilweise keine Richtwerte verfügbar sind.

Quellen und Literatur:
[7] – Roos, P. H.; Herbst, K.: Wenn die Blase raucht! Gemeinsam sind wir stark: Schadstoffgemische, in: labor&more 3/2010
[8] – Maraun, W.; ö.b.u.v. Sachverständiger für Geruchsbelastungen und Schadstoffe in Innenräumen, ARGUK Umweltlabor GmbH, interne Information
[9] – Baubiologie Maes, IBN Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN: Standard der Baubiologischen Messtechnik SBM 2015
[10] – AGÖF: AGÖF-Orientierungswerte für flüchtige organische Verbindungen in der Raumluft (Stand 11/2013)
[11] – Maraun, D. W.: Fertighausgeruch durch Chloranisole in der Raumluft älterer Fertighäuser: Ableitung eines Zielwertesfür die Geruchsbeurteilung. Arguk Umweltlabor GmbH, Oberursel 2015

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