Holz & Lehm modern vereint – Konstruktion Werkhalle Erden

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In Vorarlberg/Österreich wurde aus den beiden ältesten Baustoffen der Menschheitsgeschichte eine Produktionsstätte für das serielle Bauen mit Stampflehm errichtet, die zugleich als Leuchtturm- und Forschungsprojekt fungiert.

Der neue Stammsitz der Lehm-Ton-Erde Baukunst GmbH in den Maßen (L) 67 m x (B) 25 m x (H) 13 m basiert auf den persönlichen Erfahrungen und Ideen des Stampflehmpioniers Martin Rauch. Die Gründung der so benannten, kellerlosen ‚Werkhalle Erden‘ erfolgte auf Stahlbeton Streifen- und Einzelfundamenten. Einzig der vorderseitig platzierte Bürotrakt, der auf einer durchgehenden 30 cm dicken Stahlbeton-Bodenplatte ruht, verfügt über einen Keller.

1 Montage BSH-Konstruktion Nordseite
2 Außenansicht
3 Gesamtansicht innen

Gebäudehülle aus Stampflehmelementen und BSH-Konstruktion

Die Hybrid-Konstruktion der Werkhalle beruht im Wesentlichen auf zwei Materialien: Stampflehm für die knapp 70 m lange, 60 cm dicke und rund 11 m hohe Südwand mit der dort verorteten Produktionsstraße und den Giebelwänden. Und Holz für die gegenüberliegende Nordseite in Gestalt einer Holzkonstruktion mit integrierten BSH-Stützen sowie für das Dachtragwerk. Die sich selbst tragenden Stampflehmwände wurden mittels einer eigens errichteten Schalung Schicht für Schicht errichtet. Über zwei Beschicker befüllten die Lehmbauer die Schalung mit einer erdfeuchten Lehmmischung, um die geschichteten Erdlagen anschließend unter hohem Druck in mehreren Arbeitsgängen zur Stampflehmwand aufzubauen. Dabei haben die Schalungsaußenkanten eine Schicht aus Trasskalkmörtel als natürliche Erosionsbremse gegen Regenwasser erhalten. Die erste Reihe der Stampflehmelemente platziert man auf einen Betonsockel um etwaig aufsteigender Feuchte vorzubeugen, zusätzlich unterstützt von mineralischen Dichtschlämmen, die zwischen Betonsockel und Stampflehmelement aufgebracht wurden.

In Abhängigkeit von lokaler Disposition, Wind und Niederschlag, Hitze- und Frostperioden rechnet Martin Rauch mit einer natürlichen Erosion der frei bewitterten Außenwand von gerade mal 1-2 cm in 70 Jahren, die dann als feinkörnige Sande wieder dorthin zurückkehren, woher sie kommen: in das Erdreich. Dabei wird zuerst die obere Lehmschicht ausgewaschen, so dass die Fassade rauer und steiniger erscheint und der Trasskalkmörtel hervortritt. Eine gesamtökologische Rohstoffbilanz, die ihresgleichen sucht – nicht nur im Bauwesen.

4 Montage Stampflehmelement I
5 Montage Stampflehmelement II

Holzkonstruktion mit integrierten Rautenfachwerken

Die raumprägende Stampflehmwand nimmt gemeinsam mit der gegenüberliegenden Holzkonstruktion die vertikalen Lasten des Daches und des Hallenkrans auf und leitet diese in die Fundamente ab. Darüber hinaus trägt die Stampflehmwand auch die Wind-, Erdbeben- und horizontalen Kranlasten in Richtung der Wandebene ab. Quer zu dieser werden die Lasten von der Wand als vertikaler Einfeldträger oben in die Holzkonstruktion und unten in das Fundament eingeleitet. Die Aussteifung in nordseitiger Hallen-Längsrichtung erfolgt über in die Holzkonstruktion integrierte, werkseitig vorproduzierte Rautenfachwerke. Diese setzen sich aus BSH-Pfosten in den Maßen 120/180 mm der Festigkeitsklasse GL24h und BSH-Streben in C24 der Maße 100/180 mm zusammen, die an die BSH-Stützen durch Vollgewindeschrauben montiert wurden. Die Gesamtaussteifung der Hallenkonstruktion in Querrichtung wird durch eine einhüftig aufgelöste Rahmenkonstruktion aus V-förmig platzierten BS-Fichtenholz-Stützen der Festigkeitsklasse GL28h in den Maßen 260/400 mm sichergestellt.

6 Vorfertigung Rautenfachwerk
7 montagefertige Rautenfachwerkelemente

Dämmung mit Holzhackschnitzel-Lehm-Gemisch

Die Dämmung der BSH-Rahmenkonstruktion zeigt einmal mehr den Pioniercharakter des Bauwerks, als hier Hackschnitzel in ein Lehmbad getaucht und die so ummantelte Dämmmasse händisch zwischen die Gefache eingebracht wurde. Das Ergebnis der ausgehärteten Holzhackschnitzel-Lehm-Mischung zeigt eine homogene, vollökologische Masse, die sowohl dämmtechnisch wie auch optisch und finanziell funktioniert. Ähnliches vollzog sich bei der Montage der Fassadenschalung aus sägerauen 24 mm dicken Fichtenholzbrettern, die die Werkhalle in Teilen abschließt. Die überlappend angeordnete Rohschalung schraubten die Lehmbauer in Eigenregie auf eine Konter- und Traglattung, die zusätzlich als Hinterlüftungsebene dient und ihrerseits auf eine Wetterschutzbahn montiert wurde. Das angrenzende Wohngebiet wird lärmschutzbedingt von einer 5 m hohen Schallschutzmauer separiert, die ebenfalls aus vor Ort produzierten Stampflehmelementen besteht.

8 Brettschichtholz-Konstruktion mit Hackschnitzel-Lehm-Gemisch Dämmung
9 Aufbau BSH-Tragwerk

BSH-Dachtragwerk

Das Dachtragwerk besteht aus 12 konischen BSH-Trägern der Festigkeitsklasse GL28h in den Maßen (L) 22,4 m x (B) 0,26 m x (H) 1,80 – 1,25 m. Die 80 mm überhöhten Dachbinder lagern südseitig auf kurzen BS-Stützen, welche biegesteif mit den Dachbindern verbunden wurden. Die Verbindung am Fußpunkt der Holzstützen mit dem Stahlbetonkranz der Wandoberkante wurde gelenkig ausgeführt. Auf der gegenüberliegenden Nordseite lagern die BSH-Träger auf den V-förmig angeordneten BSH-Stützen. Oberhalb der Stampflehmwand sorgen im Wechsel mit Rautenfachwerken symmetrisch angeordnete, große Fensterflächen von 2 m x 4 m für gleichmäßigen, blendfreien Tageslichteinfall in der Werkhalle. Deren Einfassung beruht auf einer Pfosten-Riegel-Konstruktion mit einer Stärke von 200 mm. Die BSH-Dachbinder dienen zugleich als Auflager für den weiteren Dachaufbau mit vorgefertigten, gedämmten Hohlkasten-Elementen.

Die hohen Anforderungen an die Bauökologie und Nachhaltigkeit des Gebäudes hat Martin Rauch beim Abschluss der Dachkonstruktion konsequent weitergeführt. Seine Wahl fiel auf die weltweit einzige am Markt befindliche vollökologische Alternative zu verklebten Industrieplatten (OSB/ Span/ 3-Schicht o.ä.) – die GFM-Platte. Diese ist komplett frei von jedweder Bauchemie und Klebern und besteht einzig aus Schwarzwälder Weißtannenholz. 

Statisch wirksame Massivholz-Dachscheibe

Im Werk der Zimmerei Dobler diente die GFM-Diagonalplatte als Deckebene der dort vorproduzierten Hohlkastenelemente, wobei die Unterseite in Sichtqualität einem Fischgrätmuster ähnlich ausgeführt wurde. Die Einfassung der Kästen besteht aus aufgeschraubten KVH-Rippen in 80/240 mm in C24, obenauf abgeschlossen mit Rauspundbrettern. Die Dämmung der Hohlkastenelemente erfolgte mit händisch eingebrachtem Stroh eines benachbarten Landwirts. Die insgesamt 91 vorgefertigten Hohlkastenelemente in den Maximalmaßen (L) 5,0 m x (B) 3,24 m x (H) 0,30 m mit jeweils 4 KVH-Rippen in 80/240 mm in der Mitte sowie 2 Randrippen derselben Stärke montierten die Zimmerer mittels Holzbauschrauben auf die BSH-Binder. Da stumpf aneinander liegend eingehoben und an den Stößen miteinander verbunden, bilden die Hohlkastenelemente eine statisch wirksame, rund 890 m² große Dachscheibe aus, welche die Horizontlasten aufnimmt und über die Stampflehmwand und die Holzkonstruktion in die Fundamente ableitet. Auf den Kastenelementen liegt eine Unterdachbahn als Witterungsschutz, gefolgt von einer Konter- und Traglattung als Längs- und Querlüftungsebene, die mit 3 cm dicken Rauspundbrettern abgeschlossen wurde. Obenauf brachte man eine Bitumenabdichtung sowie eine Schutz-, Filter- und Dränschicht auf für die abschließende, extensive Dachbegrünung mit Sedumsprossen, die der sommerlichen Aufheizung des Gebäudekörpers entgegenwirkt.

10 Massivhölzerne GFM_Dachscheibe
11 Strohdämmung Dachelement
12 Längsschnitt
13 Querschnitt
14 3-D-Darstellung
15 Konstruktionsaufbau
16 Regelquerschnitt

Bauweise

Hybridbau Holzfachwerk-/Ständerbau + Stampflehm – überbaute Fläche: 1.537 m²

Bauherrschaft, Gesamtkonzept, Architektur, Stampflehmbau

  • Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, A-6824 Schlins (www.lehmtonerde.at)
  • Holzbau Werkplanung, Vorfertigung, Montage: Dobler Holzbau GmbH, A-6832 Röthis (www.dobler-gruppe.at)
  • Tragwerksplanung, Statik: gbd ZT GmbH, A-6850 Dornbirn (www.gbd.group)
  • GFM-System: Massivholz Junker GmbH, D-77787 Nordrach (www.gfm-system.com)
  • Elektrotechnik: elektrodesign Fröhle René, A-6824 Schlins (www.elektrodesign.at)
  • Lüftungstechnik: Aigner GmbH, A-4623 Gunskirchen b. Wels (www.aigner.at)

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1 Kommentar

  1. Großartig. Gratuliere zum Projekt.

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Quellenangaben und/oder Fußnoten:

Titelbild: Hanno Mackowitz
Abbildungen: (1, 6, 7, 11)
gbd ZT GmbH | (2, 12-16) Lehm Ton Erde Baukunst GmbH | (3-5, 9, 10) Hanno Mackowitz | (8) Marc Wilhelm Lennartz

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