Hochspannungsleitungen und Elektrosmog – was ist neu?

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Nachdem sich die Gegebenheiten an Hochspannungsleitungen über Jahrzehnte hinweg recht stabil zeigten, sich kaum Änderungen an Aufbau und Art der Energienetze ergaben und man gut wusste bzw. messen konnte, welche elektromagnetischen Felder in ihrer Umgebung auftraten, gibt es in den letzten und in den nächsten Jahren Neuerungen.

Veränderte Anforderungen an unsere Energieversorgung erfordern neue Leitungen und führen zu Abwandlungen bei den bisherigen Leitungstrassen sowie bei den in ihrer Nähe auftretenden Feldern. Wie sind die bisherigen baubiologisch-messtechnischen Erfahrungen? Und womit ist in den nächsten Jahren zu rechnen?

Historisches und Grundlagen

Beobachtungen und Messungen in der Nähe von Hochspannungsleitungen stellen quasi den Ursprung der Diskussion um Risiken elektromagnetischer Felder dar, markieren also den Beginn der ‘Elektrosmog’-Debatte – bereits in den 1960er und 1970er Jah­ren gab es die ersten Hinweise auf vermehrte Krebs- oder andere Erkran­kun­gen in der Umgebung solcher Leitungen.

Besonders im Fokus standen und stehen dabei die durch die Stromflüsse in den Leitungen entstehenden magnetischen Wechselfelder, die weitgehend ungehindert durch Baustoffe und Häuser hindurchdringen – drinnen gibt es deshalb in aller Regel ähnlich hohe Intensitäten wie draußen um sie herum, Abschirmmaßnahmen sind kaum machbar. Es gibt eine Vielzahl an wissenschaftlichen Studien zu kritischen biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen durch magnetische Wechselfelder. Immer schon gab es gewisse, aber nicht allzu große zeitliche Schwankungen bei diesen Feldern, im Wesentlichen verursacht durch die wechselnden Stromflüsse von einigen hundert bis wenigen Tausend Ampere in den Leitungen. Grundsätzlich werden stärker schwankende Felder baubiologisch kritischer eingeschätzt als gleichmäßige (wobei dies bislang vor allem bei Feldern von Bahnanlagen, Erdversorgungsleitungen und Ausgleichsströmen in Hausinstallationen zu beachten war – hier überall treten in aller Regel zeitlich extrem schwankende Felder auf).

Anders verhalten sich die durch die Spannung (110, 220 oder 380 Tausend Volt) auf den Leitungen hervorgerufenen elektrischen Felder. Diese werden durch die massive Baumasse von Gebäuden meist gut zur Erde abgeleitet, gelangen also kaum in Häuser hinein. Wenn sie es doch tun (was z.B. in nicht-massiven Gebäudeteilen wie vielen Dachgeschossen sein kann ist), sind sie durch gezielte Abschirmmaßnah­men (genaue Ausführung unbedingt durch entsprechende Messungen abklären) in aller Regel beherrschbar. Zeitliche Schwankungen dieser Felder gibt es kaum.

Studien führten im Jahr 2001 dazu, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO magnetische Wechselfelder in die Gruppe 2B krebserzeugender Substanzen einstufte, was ‘möglicherweise krebs­erregend’ bedeutet, und zwar ab Feldstärken von 300-400 nT (Nanotesla). Dies sind Werte, wie man sie durchaus nicht selten in der Nähe von Hochspannungsleitungen findet – nach unseren Erfahrungen sind es innerhalb von 50-100 Meter um die Trassen herum in der Regel zwischen 200 und 1000 nT, je nachdem auch mehr oder weniger; näher dran können es auch bis zu 10.000 nT sein. Die Schwankungen zu unterschiedlichen Zeiten zeigten sich dabei wie schon erwähnt bislang recht gering, meist war es zu den feldintensivsten Zeiten nur 2- bis 4-fach mehr als zu feldärmeren:

1 Zeitlicher Feldverlauf an einer Hochspannungsleitung im Jahr 2004 über 4 Tage mit einer Spanne der Feldstärken zwischen etwa 1400 und 3900 nT = Faktor 2,8
2 Zeitlicher Feldverlauf an einer Hochspannungsleitung im Jahr 2009 über 2 Tage mit einer Spanne der Feldstärken zwischen etwa 100 und 370 nT = Faktor 3,7

Aktuelle Messungen

Unsere Messungen seit etwa 2015 an diversen Hochspannungsleitungen haben nun aber gezeigt, dass die von ihnen ausgehenden magnetischen Wechselfelder viel mehr als früher schwanken – es waren oft Unterschiede bis zum Zehnfachen oder mehr zwischen Zeiten niedriger und hoher Feldstärken festzustellen. Zudem erfolgen die zeitlichen Änderungen oft sehr abrupt, zeigen regelrecht Sprünge und keine gleichmäßigen Übergänge.

Hier einige Beispiele mit deutlicheren zeitlichen Änderungen, die diese Veränderungen illustrieren:

3 Zeitlicher Feldverlauf an einer Hochspannungsleitung im Jahr 2020 über 8 Tage mit einer Spanne der Feldstärken zwischen etwa 180 und 1400 nT = Faktor 7,8
4 Zeitlicher Feldverlauf an einer Hochspannungsleitung im Jahr 2019 über 5 Tage mit einer Spanne der Feldstärken zwischen etwa 80 und 1200 nT = Faktor 15
5 und 6 Zeitlicher Feldverlauf an der selben Hochspannungsleitung zu zwei verschiedenen Zeiten (dieses Beispiel macht die neuen Schwankungen der Felder bzw. der sie hervorrufenden Stromflüsse am deutlichsten):
links im Jahr 2014 über 3 Tage mit einer Spanne der Feldstärken zwischen etwa 380 und 600 nT = Faktor 1,6
rechts im Jahr 2017 über 4 Tage mit einer Spanne der Feldstärken zwischen etwa 50 und 1600 nT = Faktor 32

Ursachen für die Schwankungen

Der entscheidende Grund für die beobachteten und dargestellten, biologisch möglicherweise durch­aus kritischen Schwankungen dürfte in der Energiewende der letzten und kommenden Jahre liegen: Früher war die Produktion so, dass einzelne Energieerzeugungsanlagen – im Wesentlichen Atom- und Kohle-Kraft­werke – recht gleichmäßig Strom in die Netze einspeisten, dies über die immer gleichen Wege bzw. Hochspannungsleitungen. Leichte Schwankungen ergaben sich durch eher nur geringe Änderungen auf der Verbraucherseite, bei Industrie und Endkunden.

Nun werden große Kraftwerke abgeschaltet, bei Atom schon abgeschlossen, bei der Kohle im Gange. Im Gegenzug wer­den immer mehr Wind- und Sonnenkraft-Anlagen aufgebaut, die aber nur unregelmäßig bzw. schwankend Strom produzieren können. Dies führt dazu, dass der Strom im Lande immer wieder andere Wege nimmt – wenn z.B. in Norden viel Wind weht, werden die Leitungen von dort viel Strom ins Land führen, bei Flaute schicken eher Atommeiler im Ausland oder Kohlekraftwerke im Westen Strom auf die Reise. So ergeben sich immer wieder andere Stromflüsse und Auslastungen, Zu- und Abschaltungen der verschiedenen Hochspannungsleitungen, was natürlich dann auch schwankende bzw. sich abrupt sprunghaft verändernde Magnetfelder zur Folge hat. Es kann sogar sein, dass manche Leitungen zeitweise überhaupt keine Ströme führen und sich dann als feldfrei erweisen:

Zeitlicher Feldverlauf an einer Hochspannungsleitung im Jahr 2022 über 8 Tage mit zwei Zeiträumen ohne Felder

Schwierige Messungen

Die geschilderten Veränderungen machen messtechnische Überprüfungen und Beurteilungen der Magnetfelder von Hochspannungsleitungen heute deutlich schwieriger als früher. Schon immer war es ratsam, Langzeitmessungen über mindestens zwei bis drei Tage vorzunehmen, dies kann aber mittlerweile in vielen Fällen als eindeutig zu wenig angesehen werden. Heutzutage sollten es immer mindestens sieben Tage sein, ansonsten ist die Gefahr recht groß, deutliche Unter- oder Überbewertungen der Feldintensitäten vorzunehmen. Beim geringsten Zweifel oder Bedarf an besonders hoher Sicherheit, auch bei grenzwertigen Befunden, sollten sogar Wiederholungsmessungen einige Wochen oder Monate später in Betracht gezogen werden, am besten während unterschiedlicher Wetterlagen oder Jahreszeiten. Sehr hilfreich, aber nicht immer möglich ist es, wenn vom Energieversorger bzw. Leitungsbetreiber Angaben zur Nutzungsauslastung während der Messungen vorliegen bzw. eingeholt werden.

Diese Problematik so stark schwankender Magnetfelder sollte jedem baubiologischen Messtechniker bewusst sein und Kunden transparent gemacht werden, um Fehler bei Messung und Beurteilung zu vermeiden.

Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen (HGÜ)

Ein Thema der Zukunft – solche Leitungen gibt es aktuell noch nicht, sie sind aber in Planung und Aufbau begriffen. Es geht hierbei wiederum um Neuerungen aufgrund der veränderten Energieversorgung: Da­durch, dass mehr und mehr Strom im Norden per Windkraft pro­duziert wird, müssen für dessen Transport in den Rest der Republik auch entsprechende Leitungs-Kapazitäten zur Verfügung stehen. Vorgesehen sind drei neue große Nord-Süd-Trassen, die vorrangig als Erdkabel, oft aber wohl auch als Freileitungen installiert werden sollen. Mit Inbetriebnahmen ist nicht vor 2025 zu rechnen.

Für diese Leitungen soll nicht wie bisher immer Wechselstrom (der Frequenz von 50 Hertz) genutzt werden, sondern Gleichstrom, wie auch z.B. bei Straßenbahnen oder an Photovoltaikanlagen.

Es stellt sich die Frage, wie hoch die Feldstärken der entsprechenden Gleichfelder in der Umgebung der Leitungen sein werden. Das Bundesamt für Strahlenschutz vermutet diesbezüglich:

“Derzeit wird davon ausgegangen, dass die statischen Magnetfelder von HGÜ-Leitungen in unmittelbarer Trassennähe in etwa die Größenordnung des natürlichen Erdmagnetfeldes erreichen werden. Dieses hat in Deutschland eine Flussdichte von etwa 45 Mikrotesla (µT). Über die elektrischen Feldstärken von HGÜ-Freileitun­gen liegen noch wenig Informationen vor; für sie gilt allerdings – da für statische elektrische Felder keine direkten Gesundheitswirkungen bekannt sind – auch keine Grenzwertbeschränkung.”

Für die magnetischen Felder hingegen wurde bereits ein Grenzwert festgelegt (26. Bundes-Immissionsschutzverordnung): er liegt bei 500 µT, dem ca. Zehnfachen des natürlichen Erdmagnetfeldes (auch einem Gleichfeld), und überaus deutlich über den entsprechenden baubiologischen Richtwerten – denen zufolge sind zeitliche Schwankungen von weniger als 1 µT als unauffällig einzustufen, 1-2 µT gelten als schwach, 2-10 µT als stark und mehr als 10 µT als extrem auffällig.

Es kann naturgemäß noch keine baubiologisch-messtechnischen Erfahrungen mit solchen HGÜ-Leitungen geben, und Feldstärke-Abschätzungen durch Analogie mit Straßenbahnen erscheinen schwierig: Dort fließen geringere Ströme, und wegen oft vorliegender sogenannter Ausgleichströme ändern sich die Felder an ihnen meist andauernd sekündlich abrupt.

Nach theoretischen Berechnungen könnten an den HGÜ-Leitungen in 5 – 50 Metern Abstand Feldstärken um 1  -20 µT auftreten. Letztendlich werden aber erst Messungen – vor allem unbedingt wieder Langzeitmessungen – zeigen, wie die Belastungen für Anwohner sind, wie hoch die Feldstärken ausfallen, wie stark sie zeitlich schwanken und ob gesundheitliche Beschwerden auftreten.

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Quellenangaben und/oder Fußnoten:

Foto: AdobeStock bestfoto95
Grafiken: Manfred Mierau

Autor
Manfred Mierau

Dr. Manfred

Mierau

Diplom-Biologe, arbeitet als Sachverständiger in seinem Partnerbüro der Baubiologie Maes in Aachen.

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