Baubiologie – Recht auf Gesundheit?

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Nicht selten kommt es nach dem Kauf oder der Anmietung von Wohn- oder Arbeitsräumen zu Rechtsstreitigkeiten, deren Ursachen in befürchteten oder realen gesundheitlichen Auswirkungen z. B. durch im Baukörper enthaltene Schadstoffe liegen. Was kann man beachten, um vor dem Schaden klug zu sein? Hierzu Antworten von Rechtsanwalt Wilhelm Krahn-Zembol.

Rechtsanwalt Wilhelm Krahn-Zembol

Umweltrecht/Umweltmedizin,
Toxikologie und Recht
21403 Wendisch-Evern

Herr Krahn-Zembol, sind Nutzer einer Immobilie durch rechtliche Vorgaben hinreichend geschützt, so dass Gesundheitsschäden beim Einzug ausgeschlossen werden können?

Die anwaltliche Praxis zeigt immer wieder erschreckende Fälle, in denen stark schadstoffbelastete Gebäude ohne entsprechende Hinweise des Verkäufers verkauft wurden. Häufig kommt es sogar zu gesundheitlichen Problemen oder Erkrankungen der betroffenen Käufer. Zudem droht oft auch ein erheblicher finanzieller Verlust durch den Erwerb eines solchen schadstoffbelasteten Gebäudes.

Ein Beispielsfall aus der aktuellen Praxis in meinem Büro: Eine junge Familie mit zwei Kindern erwirbt im Stadtrandbereich ein schön eingewachsenes Grundstück mit einem älteren Architektenhaus. Die akademisch gebildeten Käufer, von diesem schönen Haus beeindruckt, kauften das Haus in gutem Glauben. Im Nachhinein erfuhren sie durch viele Zufälle, dass der vorherige Kaufinteressent vom Hauskauf zurückgetreten war, weil er die Holzschutzmittelbelastungen hatte messen lassen. Dabei war eine Holzschutzmittelbelastung über dem Sanierungswert festgestellt worden. Der frühere Kaufinteressent hatte dieses auch dem Verkäufer mitgeteilt. Dennoch hat der Verkäufer ohne weitere Sanierungsmaßnahmen und ohne Angabe dieses Mangels das Haus über einen anderen Makler veräußern lassen. Meine Mandanten, die mich nach Erwerb des Hauses kontaktierten, schilderten, dass sie aus gesundheitlichen Gründen lediglich das Erdgeschoss nutzen und das ganze Obergeschoss wegen der dortigen höheren Holzschutzmittelbelastungen meiden würden. Auch nach der Sanierung lagen immer noch Belastungen mit Holzschutzmitteln vor, die grenzwertig waren.

Das Problem: Die offiziellen Grenzwerte entsprechen bei weitem nicht den Anforderungen an ein gesundes Wohnen. Schließlich weiß man, dass z. B. PCP krebserregend ist. Der Verkäufer des Hauses war zudem auch selbst an Krebs erkrankt. Insofern stellte sich für meine Mandanten selbstverständlich die Frage, inwieweit eine Rückabwicklung des Kaufes möglich ist oder inwieweit zumindest die aufwändigen Sanierungskosten im hohen 5-stelligen Bereich vom Verkäufer zu tragen wären.

Ein zweiter Fall aus der anwaltlichen Praxis: In idyllischer ländlicher Lage werden zwei neu gebaute Fachwerkhäuser verkauft. Das Fachwerk dieser beiden H.user stammte tatsächlich aus ehemaligen Bahnschwellen bzw. einer Bahnbrücke, also teerölbehandelten Hölzern! Die Verwendung entsprechender Baustoffe ist durch die Chemikalienverbotsverordnung seit langem eindeutig verboten. Den Zimmerleuten, welche diese Bahnschwellen und Brückenteile hobelten und verarbeiteten, wurde während der Arbeit auch immer wieder schlecht. Meine Mandanten, die mich dann erst im Nachhinein, als sie schon im Haus wohnten, kontaktierten, schilderten, dass ihnen diese Holzschutzmittelbelastungen sogar bekannt gewesen seien und dass sie das Haus deshalb nur erworben hätten, weil in einem „Holzschutz-Gutachten“ die Unbedenklichkeit bescheinigt worden war. Nachdem sie dann selbst in diesem Gebäude wohnten und erhebliche gesundheitliche Probleme bekamen, wollten sie verständlicherweise den Kauf rückabwickeln bzw. zumindest Schadenersatzansprüche etc. durchsetzen. Obwohl in dem letzten Fall sogar Hölzer verarbeitet wurden, deren Verarbeitung gegen ein gesetzliches bzw. untergesetzliches Verbot verstieß, hat weder das zuständige Landgericht, noch das dann angerufene Oberlandesgericht einen Mangel bejaht. Es ist in der anwaltlichen Praxis leider immer wieder festzustellen, dass die Rechtsprechung bei der Anerkennung potenzieller gesundheitlicher Schädigungen durch z. B. giftige Baustoffe weit hinter dem aktuellen Erkenntnisstand hinterher hinkt. Dieses Thema wird bis heute gerade in der Zivilgerichtsbarkeit überhaupt nicht adäquat aufgearbeitet, mit der Folge, dass Käufer (und ebenso Mieter) letztlich vollkommen unzureichend rechtlich geschützt werden, wenn es um gesundheitliche Schädigungen durch verwendete Baustoffe u. ä. geht.

Das bedeutet, dass bei einem Hauskauf der Käufer das volle Risiko trägt, wenn er bei Vertragsabschluss nicht aufgepasst hat?

Leider ist dies die eindeutige Rechtsprechungstendenz. Hinzu kommen immer wieder erhebliche Beweisschwierigkeiten. So muss der Käufer den Mangel beweisen. Selbst wenn es für einzelne Schadstoffe Sanierungswerte oder Richtwerte gibt, sind diese jedoch regelmäßig weit über den baubiologischen Empfehlungen, welche einen sehr viel weitergehenden Gesundheitsschutz gewährleisten sollen. Ich möchte es einmal ganz deutlich formulieren: Sie können ein neugebautes Haus erwerben, bei dem sämtliche Richt- und Sanierungswerte eingehalten sind und trotzdem darin krank werden. Das gilt natürlich erst recht, wenn bei den neuen Bewohnern unter Umständen genetisch bedingte Entgiftungsstörungen, Allergien etc. vorliegen. Auch hier versagt unser öffentliches Baurecht vollständig. Besonders empfindliche Personengruppen werden im öffentlichen Recht entgegen den grundgesetzlichen Vorgaben bis heute überhaupt nicht berücksichtigt.

In welchen Fällen kommt Ihres Erachtens ein Haftungsanspruch eines Käufers gegen einen Verkäufer in Betracht, der derartige Mängel verschwiegen hat?

Wenn ein Verkäufer z. B. erhebliche, das heißt über den Grenzwerten liegende Schadstoffbelastungen seines Hauses kannte und diese bei Vertragsschluss gegenüber den Käufern trotzdem verschwiegen hat, kommt selbstverständlich eine Anfechtung des geschlossenen Vertrages wegen arglistiger Täuschung in Betracht. Hier gibt es dann manchmal die seltenen Glücksfälle, dass der Käufer Zeugen dafür benennen kann, dass dem Verkäufer die entsprechenden sogar übergrenzwertigen Schadstoffbelastungen bekannt waren, wie dieses in dem ersten Fall, den ich zuvor geschildert habe, der Fall war. Zusammenfassend kann ich betroffenen Käufern und Mietern im Einzelfall nur raten, sich fachkundig anwaltlich beraten zu lassen. Die dabei anfallenden anwaltlichen Beratungskosten sind vergleichsweise gering.

Können Sie aus Ihrer anwaltlichen Praxis Empfehlungen für Käufer oder Mieter geben, die einen weitreichenden rechtlichen Schutz ermöglichen?

In aller Deutlichkeit kann ich jedem potenziellen Käufer oder Mieter nur anraten, das Kauf- bzw. Mietobjekt entweder selbst gründlichst zu besichtigen oder bei fehlender eigener Fachkunde Fachleute wie z. B. fachkundige Architekten, Baubiologen u. ä. zu konsultieren. Und selbstverständlich sollte auch der Vertrag selbst rechtlich so formuliert werden, dass Käufer und Mieter nicht über den Tisch gezogen werden.

Der Bundesgerichtshof hat z. B. in einem früheren Fall entschieden, dass beim Kauf eines Fertighauses die Einhaltung der Formaldehyd-Grenzwerte nicht ausreichend ist, wenn im Vertrag geregelt war, dass der Käufer ein gesundes bzw. ökologisches Haus erwerben wollte. Insofern kann man durch vertragliche Formulierungen sehr wohl sicherstellen, dass es im evtl. Streitfall nicht auf die im Zweifel immer viel zu hohen Sanierungswerte etc. ankommt, sondern auf einen deutlich empfindlicheren Maßstab. Im Zweifel sind frühzeitige Messungen vor Vertragsabschluss mit Einverständnis des Verkäufers bzw. Vermieters sicherlich kostengünstiger als erhebliche finanzielle Verluste im Schadensfall oder gesundheitlichen Schädigungen.

Beide Balken befanden sich in einer neu sanierten DG-Wohnung
1 Summe PAK im Material 9.600 mg/kg
2 Summe DDT im Material 5.900 mg/kg

Wie kommt es, dass Sie sich schon so langjährig mit Rechtsstreitigkeiten befassen, in denen es um Gesundheitsschädigungen oder präventiv um die Vermeidung von Gesundheitsschädigungen geht?

Weil es in diesem Bereich so unglaubliche rechtliche Missstände gibt! Im Grundgesetz in Artikel 2 Abs. 2 heißt es, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat. Die Rechtspraxis hat dieses z.T. in das krasse Gegenteil verkehrt, und zwar sogar in zahlreichen Rechtsbereichen, welche uns alle persönlich in unserer eigenen Gesundheit betreffen. Wir geben als Bevölkerung hohe Milliardenbeträge jährlich für ärztliche Therapien und Medikamente aus, die unzählige Menschen nicht etwa heilen, sondern erst krank oder noch kränker machen! Oder nehmen Sie den Bereich der Arbeitsplätze. Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen in ihrer Gesundheit schwer geschädigt werden, ohne dass die Missstände an den Arbeitsplätzen anerkannt und möglichst umgehend abgestellt werden bzw. dass den Geschädigten wenigstens die ihnen zustehenden Entschädigungsansprüche gewährt werden. Auch hier haben wir ein vollkommen antiquiertes Recht, das den Schädiger schützt und den Geschädigten weitgehend rechtlos stellt.

Noch eine letzte Frage: Welche Veränderungen könnten aus Ihrer Sicht dazu beitragen, Käufer und Mieter besser zu schützen?

Eine sehr gute Frage, auf die es selbstverständlich eine Vielzahl von Antworten geben kann, welche den hier vorliegenden Rahmen sprengen. Was müsste alles passieren, um in einer kranken Normalität das Gesunde wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen? Nehmen Sie den Bereich der Ernährung, den die Menschen doch relativ frei wählen können. Trotzdem entstehen durch schon offiziell anerkannte Fehlernährung jedes Jahr Milliarden an Krankheitskosten. Das erste, was Voraussetzung für Veränderungen in der Welt ist, ist zunächst das Problembewusstsein der Menschen überhaupt. Und dieses individuelle Bewusstsein sieht natürlich vollkommen anders aus, wenn man sich überhaupt nicht mit derartigen Fragestellungen befasst. Ganz anders sieht es aus, wenn man, wie ich, Jahrzehnte in diesem Bereich tagtäglich gearbeitet hat.

Natürlich gibt es auch jede Menge Möglichkeiten, z. B. durch gesetzliche Änderungen etc. zu versuchen, einen weitergehenden Schutz zu ermöglichen. Gleichwohl sind diese rechtlichen Möglichkeiten begrenzt, wenn nicht das Bewusstsein in der Bevölkerung ebenso sensibler wird. Ein erster Schritt, den ich hier in diesem Zusammenhang nur beispielhaft erwähnen will, wäre z. B. die Pflicht eines Gebäudeausweises, der analog zum Energieausweis eingeführt wird. Der Teufel steckt natürlich auch hier wieder im Detail. Selbst wenn der Bauherr noch so sehr auf die Verwendung schadstoffarmer Baustoffe geachtet hat, kann ein solcher Gebäudeausweis immer nur einzelne Parameter erfassen. Wenn Sie wissen, wie weit verbreitet es in der Baustoffindustrie ist, sogar Sondermüll systematisch in Baustoffen zu entsorgen, dann können Sie sich vorstellen, wie lang der Weg noch ist, bis wir zu einer „Volldeklaration“ nicht nur von Baustoffen, sondern von z. B. neu erstellten Gebäuden kommen. Und welche weiteren Schadstoffbelastungen entstehen dadurch, dass die Bewohner dieser Gebäude oder Mietwohnungen z. B. gedankenlos Insektizide versprühen oder bedenkliche Holzschutzmittel verstreichen?

Es gibt hier nicht eine fertige Lösung, die alles verändern kann. Gleichwohl sind viele einzelne Schritte, wie z. B. der von mir angesprochene Gebäudeausweis, sicherlich hilfreiche oder sogar notwendige Schritte auf dem Weg zu einem gesünderen Bauen und Wohnen.

Häufig ist in der heutigen Mentalität der Bevölkerung noch viel zu sehr der Schwerpunkt allein auf den Preis gerichtet, ohne dass die zum Teil sehr viel höheren Folgekosten berücksichtigt werden, welche durch die Verwendung von problematischen „Billig-Baustoffen“ für die eigene Familie etc. entstehen können. Wir müssen einfach wieder lernen, langfristig zu denken und die viel komplexeren Lebenszusammenhänge zu verstehen. Wenn uns dieses gelingt, dann gibt es in jedem Tätigkeitsbereich, ob als Jurist, Arzt oder genauso im Bereich des ökologischen Bauens immer wieder viele Möglichkeiten, hieran mitzuarbeiten und die bessere Welt, die wir alle eigentlich wollen, auch mit zu gestalten!

Herr Krahn-Zembol, vielen Dank für dieses sehr interessante Interview.

Fazit

„Ignorantia legis non excusat“

Dieser alte römische Rechtsgrundsatz oder im deutschen Sprachgebrauch als Volksweisheit bekannte Spruch „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, kommt leider auch hier zur Anwendung. Da es keine Vorsorgepflicht gibt, Gebäude auf das Vorhandensein von Schadstoffen zu untersuchen, obliegt es dem Käufer oder Mieter, sich vor dem Kauf oder der Anmietung soweit wie möglich die Sicherheit zu verschaffen, gesunde Räume zu erwerben und diese dann auch bewusst gesund zu halten.

Diesen Beitrag präsentiert Ihnen:
Verband Baubiologie VB
verband-baubiologie.de

Erstveröffentlichung: IBN-Zeitschrift Wohnung + Gesundheit Nr. 159

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1 Kommentar

  1. Die Ursache dieser Problematik liegt doch in Zweierlei:
    1. Die Nutzung von toxischen Baumaterialien mit staatlicher Duldung und
    2. die notarielle Praxis, die vom Wertungsmodell des BGB stark abweicht.
    Das Erste ist die Ursache, das Zweite macht die Durchsetzung von Ansprüchen gegen Verkäufer unnötig schwer. Hinzu kommt ein Verkäufermarkt, der den Käufern die Bedingungen diktiert. Die Annahme einer Klärung der Schadstoffsituation vor Kauf ist eher naiv. An solche Interessenten wird schlicht nicht verkauft. Auch nach Kauf ist das Interesse der Verkäufer an einer Lösung des Problems regelmäßig gering. Meine anwaltliche Erfahrung zeigt, das meist geklagt werden muss. Die Erfolgsaussichten sind dann immer vom Einzelfall abhängig.

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Quellenangaben und/oder Fußnoten:

Titelbild: AdobeStock, nmann77

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