Der Schock saß tief: Nach der Energiekrise 1973 verschärfte die Politik Schritt für Schritt die gesetzlichen Anforderungen an die Gebäudedämmung. Wer heute neu baut, ist auf Basis des Gebäudeenergiegesetzers (GEG) in der Pflicht, Gebäudehüllen zu konstruieren, die nicht nur sehr gut gedämmt sind (ca. 1/8 des Energieverbrauchs eines ungedämmten Altbaus), sondern auch weitgehend luftdicht sind.

Wärmedämmverbundsysteme als Heilsbringer

Es liegt auf der Hand, dass die detaillierten Dämmvorschriften das Bauen auch immer teurer gemacht haben. Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass das Gebäudeenergiegesetz eine gesetzliche Vorgabe des Wirtschaftsministeriums ist… Wie auch immer, der normale Bauherr ist verständlicherweise immer bemüht, die Kosten seines Hausbaus oder seiner Sanierung zu optimieren. Da kommen die einfachen Fassadendämmungen, die direkt verputzt werden können gerade recht. Bei sogenannten Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) werden dicke Dämmplatten direkt auf die Fassade geklebt und/oder gedübelt und mit einer mehrlagigen dünnen Kunstharzspachtelung verputzt. Am meisten werden hierfür Polystyrol- oder Mineralwollplatten verwendet, da diese zum günstigen Materialpreis erhältlich sind. Die Kunstharzspachtelung ist relativ dünn (meist ca. 3-6 mm und zur Rissvermeidung mit Kunststoffen vergütet.

Die Schattenseiten der Dämmung

Allerdings birgt der konstruktive Aufbau der WDVS verschiedene Tücken. Da auf der synthetischen dünnen harten Fassadenschale Niederschlagsfeuchte lange liegenbleibt, kommt es häufig zu starker Algenbildung, was von den Bauherren als deutlicher optischer Mangel gerügt wird. Die Systemhersteller schreiben inzwischen daher den Zusatz von Bioziden in den Fassadenanstrichen vor. Doch schon schlägt die Wasserwirtschaft Alarm, da sich die giftigen Zusätze aus den Anstrichen herauslösen und in den Gewässerkreislauf gelangen, so auch in das Grundwasser, das häufig als Trinkwasser genutzt wird. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass bei Brandfällen die verbauten Polystyrol-Dämmschichten nicht nur eine enorme Luftverschmutzung mit hochgiftigen Dioxinen und Furanen verursachen, sondern auch die Gebäudenutzer wie Rettungskräfte massiv gefährden. Auch im Gebrauch mehren sich negative Erfahrungen mit den Dämmsystemen, da die dünne Deckschicht sehr leicht beschädigt werden kann. So stanzen regelmäßig achtlos abgestellte Fahrradlenker Löcher in die Dämmungen oder Hagelschlag führt zu Putzabplatzungen. Es stellt sich daher die Frage, wie nachhaltig ein solches direkt verputztes Wärmedämmverbundsystem tatsächlich ist.

(1) Nachträgliche Fassadendämmungen verändern das Erscheinungsbild von Gebäuden
(2) Aktuell werden die meisten Fassadendämmungen mit Polystyrol ausgeführt
(3) Bereits nach kurzer Zeit sind algenbedingte Verfärbungen auf WDVS-Fassaden zu sehen (hier zeichnen sich die Dübelköpfe heller ab)

Sanierungsfall WDVS

Wer sich auf die Suche nach belastbaren Angaben zur Lebenserwartung eines WDVS macht, wird sehr unterschiedliche Auskünfte bekommen. Tatsache ist jedoch, dass zahlreiche Hausbesitzer bereits nach wenigen Jahren schon wieder Gerüste stellen müssen, um Schäden an ihren Dämmfassaden auszubessern oder die gesamte Fassade neu zu streichen.Auch der Lebenszyklus von Polystyrol-Dämmungen klingt in der Theorie besser, als in der Praxis: Gemäß den Herstellern können Polystyrol-Dämmungen angeblich weitgehend recycelt werden. Nur leider macht sich keiner die Mühe, die Kleber und Putze bei einer Entsorgung zu entfernen, so dass die Dämmplatten derzeit fast vollständig in die Müllverbrennung gebracht werden und auch dort für giftige Verbrennungsrückstände sorgen. Könnte es somit sein, dass die WDVS, die heute noch als weit verbreiteter „Stand der Technik“ gelten, bereits in naher Zukunft zum massenhaften Sanierungsfall werden – ähnlich wie bereits heute mühsam die Schadstoffe der Vergangenheit saniert werden müssen (z.B. Asbest- und Holzschutzmittelprodukte am Bau galten während mehr als 40 Jahren auch als anerkannter Stand der Technik)?

Alternativen sind gefragt

So stellt sich dem umweltbewussten Bauherrn immer öfter die Frage, ob es auch umweltverträgliche Dämmungen für seinen Neu- oder Altbau gibt, die nicht nur heute „billig“, sondern auch langfristig unterhaltsarm und nachhaltig sind. Wer tatsächlich eine verputzte Fassade wünscht, sollte dabei darauf achten, dass er ein verputztes Dämmsystem wählt, welches ohne synthetische Zuschläge auskommt. Hierfür braucht es zunächst eine deutlich festere und stabilere Dämmplatte, z.B. aus Holzfasern, Kork oder Mineralschaum. Auf dieser kann auch 10-15 mm dick mit üblichem mineralischen Fassadenputz verputzt werden und anschließend eine (reine) Mineralfarbe ohne biozide Zusätze ausgeführt werden. Wer sein bestehendes Dämmsystem mit einer neuen (mineralisch verputzten) Dämmlage nachträglich überdämmen will, muss sich jedoch sicher sein, dass der Untergrund hält oder eine neue Montagehilfe anbringen. Es gibt Anbieter, die hierzu Hilfestellungen und Lösungen anbieten.

(4) Algenbewuchs als Gestaltungselement?
(5) Wäre diese Fassade als Dämmfassade wirklich schöner?
(6) Holz und andere Fassadenmaterialien bieten ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten, als verputzte Dämmstoffe. So entsteht Baukultur.

Bauen als kultureller Beitrag

Das verputzte Dämmsystem bietet in der Regel kaum gestalterische Möglichkeiten, so dass gerade bei Bestandsgebäuden die Fassade nach einer Dämmmaßnahme ihren ursprünglichen Charme verliert (Fenstereinfassungen, Klappläden, Schattenwirkung der Fenstereinschnitte etc.). Es sollte festgehalten werden, dass nicht nur denkmalgeschützte Gebäude erhaltenswert sind. Auch weniger auffällige oder besondere Häuser sind Teil unseres kulturellen Umfeldes (Kultur findet nicht nur im Theater statt!). Es wäre ein besonderes Armutszeugnis, wenn als bauliches Erbe unserer Zeit ausschließlich gesichtslose Dämmfassaden zurückbleiben. Daher empfiehlt es sich, über gestalterisch und konstruktiv höherwertigere Fassadenausbildungen, wie z.B. mit Klinker oder hinterlüfteten Holzschalungen, nachzudenken. Diese Fassaden bieten gleichwertige Dämmwerte, bei deutlich besserer Widerstandsfähigkeit gegen Wind und Wetter und können zudem noch „in Würde altern“. Eine weitere Alternative kann auch Innendämmung sein. Andernfalls werden wir nicht mehr lange warten müssen, bis der nächste „Schock“ die Politik erschüttert: nämlich dann, wenn die Entsorgungsprobleme der vorhandenen WDVS-Systeme überhand nehmen und wir erkennen müssen, dass es keine sehenswerten Altstädte mehr gibt, weil wir im allgemeinen Dämmwahn unsere Altbauten unkenntlich gemacht haben.

Weiterer Beitrag zum Thema im baubiologie magazin:

Verdämmt kompliziert!


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  1. Dicke Dämmplatten aus Holzfaser oder anderen Naturdämmstoffen sind meist sehr schwer, daher nicht so einfach an der Fassade anzubringen. Daher empfielt sich ein Holzständerwerk, welches mit dünneren Platten versehen wird und dahinter wird ein losser Naturdämmstoff gestopft oder eingeblasen. Von Aussen kann man dann verputzen oder mit Holz verschalen.

  2. Nahezu 30 % der Altbauten sind hohlschichtig gebaut und können sehr schnell und preiswert mit Einblasdämmung gedämmt werden. Leider wird diese Form der nachträglichen Wärmedämmung meistens nicht erwähnt

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