Winfried Schneider
Arch. Winfried Schneider

Was macht baubiologisches Bauen aus?

Letztendlich geht es in der Baubiologie um Ziele, die wohl jeder Mensch rund ums Wohnen hat und die heute eigentlich selbstverständlich sein sollten: Entstehen soll ein Wohn- oder Arbeitsumfeld, in dem wir gesund bleiben, wir uns bezüglich Raumklima und -gestaltung wohl fühlen, das bestmöglich ökologische Anforderungen erfüllt, ein gutes Zusammenleben ermöglicht und auch bezahlbar ist. Hört sich erst mal logisch und einfach an, ist aber komplex und erfordert eine gute Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten.

Vor rund 40 Jahren wurden die „25 Leitlinien der Baubiologie“ formuliert, die noch heute gültig sind. Was sind die wichtigsten Elemente dabei?

In 25 kurzen und allgemeinverständlichen Sätzen werden alle wesentlichen Kriterien der ganzheitlich ausgerichteten Baubiologie erklärt. Dabei geht es um folgende Themengebiete: Innenraumklima | Baustoffe und Raumausstattung | Raumgestaltung und Architektur | Umwelt, Energie und Wasser | ökosoziales Wohnumfeld.

Was sind die größten Herausforderungen beim baubiologischen Bauen und Sanieren?

Herausforderungen sehe ich in einem positiven Kontext. Ohne Herausforderungen keine Innovationen, ohne Innovationen keine Weiterentwicklung… Aber zurück zu deiner eigentlichen Frage: Baubiologisches oder wohngesundes Bauen erfordert ein ganzheitliches Konzept, es sind also viele Anforderungen unter einen Hut zu bekommen. Kein leichtes Unterfangen in einem Umfeld, wo lineares und spezialisiertes Denken und Handeln dominiert. Deshalb ist es wichtig, dass jemand mit baubiologischer Erfahrung alles im Blick hat und die Planung und Bauleitung übernimmt. Weiß man, wie’s geht, ist baubiologisches Bauen einfach und so soll es auch sein. Denn kompliziertes Bauen ist meist fehleranfällig und teuer und baubiologisches Bauen soll im nachhaltigen Sinne langlebige und auch bezahlbare Gebäude ermöglichen.

Viele Menschen leiden an Allergien. Wie geht man damit im Bereich des wohngesunden Bauens um?

Nicht nur dann, wenn es bereits zu Allergien und andere Krankheiten gekommen ist, sondern noch besser im Sinne der Vorbeugung ist das Wissen von Baubiolog*innen, die sich u.a. intensiv mit Raumklima und Schadstoffen aller Art und deren gesundheitlichen Auswirkungen beschäftigen, sehr hilfreich. Was für den einen gut und angenehm ist, kann für den anderen zum Problem werden. Im Idealfall empfiehlt sich ein koordiniertes Vorgehen von Baubiologischen Messtechnikern zusammen mit Haus- und/oder Fachärzten, Umweltmedizinern und ausführenden Handwerkern. 

Manchmal scheitert es am Standort, manchmal an anderen Gegebenheiten, manchmal am Budget, dass ein Haus nicht zu 100 % wohngesund/ökologisch nachhaltig/den 25 Leitlinien entsprechend gebaut werden kann. Wo/an welchen Stellschrauben/Materialien könnte man beim gesunden bauen am ehesten Kompromisse eingehen?

In unseren „25 Leitlinien der Baubiologie“ heißt es hierzu: „Unter realen Bedingungen können nicht immer alle Kriterien erfüllt werden. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht deshalb deren Optimierung im individuell machbaren Rahmen“. Es geht also um die Suche nach dem bestmöglichen Kompromiss in jedem Einzelfall. Erfahrene Baubiolog*innen erkennen allerdings schnell, was im Einzelfall wichtig und die richtige Entscheidung ist.

Ist ein baubiologisches Haus aus natürlichen, nachwachsenden Materialien genauso lange haltbar wie ein konventionell gebautes?

Ein baubiologisches Haus sollte alleine schon aus ökologischen Gründen möglichst lange haltbar sein. In der Baubiologie geht es auch um Qualität statt Quantität und Qualität richtig umgesetzt bedeutet mittel- bis langfristig immer auch „preis-wert“, ist also seinen Preis wert. Hierzu zwei Beispiele: Ein Vollholzparkett ist erst mal teurer. Es lässt sich damit aber damit mittelfristig viel Geld sparen und zudem der Wert der damit ausgestatteten Immobilie steigern, denn ein solches Parkett hält 100 Jahre und länger, während ein preiswerter Laminatboden oft bereits nach 10 Jahren unansehnlich und deshalb erneuert wird. Ähnlich verhält es sich z.B. beim Vergleich guter handwerklich hergestellter Möbel mit Möbel vom Möbeldiscounter usw.

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Was ist bei einem baubiologischen Haus besonders wichtig in der Wartung/Pflege/Instandhaltung? Bedeutet das mehr Aufwand als bei einem konventionellen Gebäude?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Man kann immer nur konkrete Ausführungen miteinander vergleichen. Zu einer guten Ökobilanz gehört allerdings auch, dass der langfristige Pflegeaufwand gering und kostengünstig ist. Pflegt man baubiologisch empfehlenswerte Materialien und Oberflächen fachgerecht, ist der Wartungsaufwand dafür keineswegs höher. Allerdings entwickeln Naturmaterialien wie z.B. Vollholz, Kalkputz oder Naturtextilien mit der Zeit eine Patina, die aber von Vielen als schön und angenehm empfunden wird. Man muss also gar nicht immer alles mit aggressiven und/oder giftigen Mitteln putzen, nachstreichen oder lackieren.

Welche Entwicklungen und/oder Trends siehst du beim gesunden Bauen in der näheren Zukunft? Welche Materialien und Technologien werden beispielsweise wichtig?

Folgende aktuelle Trends möchte ich hervorheben:

Energiesparendes Bauen, wie das Effizienzhaus 55 oder das Passivhaus haben sich mittlerweile etabliert. Baubiologie*innen wollen jedoch mehr und fordern „Passivhaus ja, aber baubiologisch“. Es ist nicht zu Ende gedacht, wenn Gebäude zwar wenig Heizenergie verbrauchen, aber kein wohngesundes und angenehmes Wohnen ermöglichen und darin jede Menge Energie zur Herstellung der verwendeten Baustoffe drinsteckt und sie damit insgesamt eine schlechte Ökobilanz haben. So manches Gebäude verbraucht heute mehr Energie zur Herstellung, als es während seiner gesamten Lebensdauer zum heizen und/oder kühlen verbraucht. Baustoffe, die man mit wenig Energie herstellen und verbauen kann, aber auch zu einem gesunden Raumklima beitragen, werden sich deshalb immer mehr durchsetzen.

Derzeit werden viele Gebäude realisiert, die vor allem preiswert und zweckmäßig, aber lieblos wirken und eine gewisse „Kälte“ ausstrahlen. Hierzu spüre ich eine Gegenbewegung. Immer mehr Bauherren und -frauen, aber auch Mieter wünschen sich eine individuelle und wohltuende Atmosphäre, die sich nur mit guten Handwerkern und natürlichen Materialien erreichen lässt.

Sicher auch wegen der hohen Immobilienpreise gibt es einen Trend zu Tiny Living bzw. Tiny Houses, aber auch zum gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen wie beispielsweise Mehrgenerationenhäuser. Dies ist auch im Sinne der Nachhaltigkeit und im Rahmen eines sozialverträglichen sowie bezahlbaren Bauens sehr zu begrüßen.

Rund um die Haustechnik sehe ich derzeit keinen klaren Trend: Die einen wünschen sich umfassende High-Tech-Konzepte, andere setzen ganz bewusst auf Low-Tech, wollen also den Einsatz von Technik auf ein Minimum reduzieren. Ich rate eher zum „abrüsten“, also wenig Haustechnik unter Nutzung erneuerbarer Energien.

Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Helena Hick, Berlin

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