Die Uhrenproduktion im Schwarzwald hatte gut 100 Jahre weltweite Bedeutung. So baute die Firma Junghans in Schramberg 1918 eine damals moderne Produktionsstätte mit gut belichteten Arbeitsplätzen, den so genannte Terrassenbau, der in Stufen der steilen Topografie des Baugrunds folgt. Seine neun schmalen, langen Terrassen bieten Arbeitsplätze direkt am Fenster und Tageslicht für die Fertigung der feinmechanischen Produkte. Die atelierartigen Ebenen öffnen sich breit talwärts, Richtung Osten mit einer durchgehenden Fensterfront. Durch den Wandel der Produktion stand das Gebäude seit den 1990er Jahren leer. Dr. Hans-Jochem Steim und sein Sohn Hannes Steim kauften es 2012. Hans-Jochem Steim beauftragte Jürgen Bihlmaier vom Architekturbüro Rapp+Bihlmaier aus Schramberg mit der Sanierung und Umnutzung als Museum für seine große Uhrensammlung.

Kastenfenster aus Eichenholz

1918 wurden Kastenfenster eingebaut, die heute noch erhalten sind. Sie sind aus Eichenholz, meist festverglast und durchgängig mit Doppelscheiben versehen. Die größten sind 3,5 x 1,8 Meter. „Das waren damals revolutionäre Fenster“, ist Architekt Bihlmaier begeistert. Ursprünglich waren sie nur mit Leinölprodukten geölt. In den unteren Etagen wurden sie zwischenzeitlich weiß mit Leinölfarben lackiert. Die aus heutiger Sicht vorbildhaft nachhaltigen Bauteile waren gut erhalten und sollten handwerklich instandgesetzt werden. Auf Austausch der Scheiben und neue Falzdichtungen wurde dabei verzichtet. Die Schreiner glasten zu fünft vier Monate lang die alten Scheiben aus. Viele Scheiben waren noch im Originalzustand und hatten Luftblasen. Auch die Beschläge entlackten und reparierten sie. Für die Überarbeitung des Eichenholzes forderte die Denkmalpflege Leinölfarben.

Vor und Nachteile von Leinölfarben

Ab dem 15. Jahrhundert sind Leinöl und Leinölfarbe zur Konservierung, Pflege und Gestaltung von Holzbauteilen nachweisbar. Das Naturöl hat eine niedrige Viskosität und kleine Moleküle, was zu einem außergewöhnlich guten Eindringvermögen und einer hohen Wetterbeständigkeit führt. Hölzer sind einfach zu sanieren, schön und angenehm anzufassen. Schließlich ist es nachhaltig, da es ein nachwachsender Rohstoff ist und nicht durch aufwändige Prozesse zu neuen synthetischen Stoffen umgebaut werden muss. Nachteilig ist, dass es langsam trocknet und zum Vergilben neigt.

Farben mit Alkydharzen als Bindemittel trocknen schneller, erreichen eine größere Oberflächenhärte und haben eine geringere Vergilbungsneigung. Allerdings verspröden sie auch und reißen, weil sie nicht elastisch sind und deshalb das Schwinden und Quellen von Holz nicht ausgleichen können. Früher wurde durch langes Lagern des Leinöles sog. Standöl hergestellt. Es bleibt besonders lange elastisch und wird deshalb gerne für bewitterte Flächen eingesetzt.

(1) Der denkmalgeschützte Junghans Terrassenbau wurde 100 Jahre nach seiner Erbauung mit den originalen Eichenfenstern als Museum wieder eröffnet
(2) Neun, über die modernen Fensterfronten gut belichtete Terrassen öffnen sich Richtung Osten. Die Denkmalpflege forderte Leinölfarben für die Aufarbeitung der Rahmen
(3) Die bauzeitlichen Holz- und Glaswände zu den Treppenhäusern sind auf manchen Terrassen weiß lackiert
(4) Für das Ausbessern von Fehlstellen kam Material aus ausgebauten Fenstern zum Einsatz

Erfahrungen mit Leinöl

Stefan Glück von „Lehmbau Glück Maler & Stuckateur“ aus Lauterbach arbeitet seit Anfang der 1990er Jahre mit Naturmaterialien. Miteigentümer Thomas Glück ist erfahren mit Lehmbaustoffen. 2018 hatte er den Wettbewerb Oberflächenwerkstatt Lehmputze von Claytec gewonnen – siehe „Prämierte Gestaltungen mit Lehm“. Stefan Glück benutzt Leinöl gerne, auch für Fenster. „Von der Schönheit her geht nichts über ein handgestrichenes Holzfenster“, betont er. „Ich arbeite immer noch mit einem richtigen Voranstrich. Das muss sein. Der 1, 2, 3-Lack ist nichts für mich. Auch auf normalen Baustellen, bei denen es nicht auf einen Tag mehr ankommt, nehmen wir gerne Standölprodukte für Innen und Außen.“ Bei Junghans waren über 8.000 Meter Leisten dreifach zu streichen. „Das macht nicht jeder“, weiß der Malermeister. „Ein Angebot für solche Denkmalschutzfenster gibt kaum Jemand ab, obwohl das eigentlich eine sehr schöne Arbeit ist.“

(5) Die Holz- und Glaswände während der Aufarbeitung
(6) Alle Holzoberflächen erhielten einen dreischichtigen Leinölanstrich – wie hier leicht pigmentiert lasierend oder deckend weiß aufgetragen
(7) Die mit Leinölfarbe lasierten Holzeinbauten bewahren den Charakter des Industriedenkmal

Gekonnte Ausführung 

Stefan Glück schliff mit sechs Mitarbeitern sechs Wochen lang die Holzoberflächen gut an. Die alte Leinölfarbe mussten sie dabei nicht gänzlich entfernen. Danach besserten die Schreiner noch einmal zwei Monate zu dritt schadhafte Hölzer aus. Dabei verwendeten sie bauzeitliches Eichenholz von ausgebauten Fenstern. Die Rahmen blieben fest montiert. Auch die wenigen Öffnungsflügel wurden vor Ort aufgearbeitet. Dann strichen zwei bis drei Mitarbeiter rohe Holzstellen außen mit Ölgrund, innen mit Holzgrund, jeweils von der Fa. Beeck. Nach dem Trocknen strichen sie innen alles dünnschichtig, ansatzlos und gleichmäßig mit der deutlich fetteren Standöl-Vorstreichfarbe und einer weiteren Lage mit Standölfarbe, beide je nach Terrasse weiß pigmentiert. Die Standölfarben enthalten keine Trockenstoffe und vernetzen durch Aufnahme von Sauerstoff zu einem wasserfesten, aber diffusionsfähigen Öllackfilm. Dieser muss für die nächste Schicht mehrere Tage trocknen, was aufgrund der vielen Flächen organisatorisch kein Problem war. „Bis wir von oben bis unten einmal durch waren, war alles trocken“, berichtet Glück und ergänzt. „Leinöl muss so aufgetragen werden, dass kein Glanz mehr drauf ist.“ Am Tagesschluss ging ein Mann durch und wischte an wenigen Stellen entstandenen Glanz weg. Am Ende wurde innen alles mit einer pigmentierten Leinöllasur überstrichen. Danach setzten die Schreiner die Scheiben wieder ein. Für die Außenrahmen verwendete Glück wegen des Farbtons Histolith Holzgrundieröl braun der Fa. Caparol und verarbeitete es analog.

Leinöl für Holzwände und -böden

Ebenfalls Leinölanstriche erhielten die Holzböden sowie die bauzeitlichen Holz- und Glaswände zwischen Terrassen und Treppenhäusern, die durch ein intelligentes Brandschutzkonzept original erhalten werden konnten. Auf den Böden der Terrassenräume lag ein knapp drei cm starkes Fischgrätparkett aus Eichenholz. Wegen Abnutzungen wurde etwa die Hälfte des Parketts erneuert. Die übrigen Böden wurden repariert, gereinigt und abschließend alles wieder geölt.

2018 erhielt das Junghans Terrassenbau Museum den Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg. 2020 wurde es mit dem European Museum of the Year Award ausgezeichnet.

Dokumentation mit Filmclip
Internetseite des Museums

Baudaten

  • Fenstersanierung Junghans Terrassenbau
  • Baujahr: 1918 / Umnutzung: 2018
  • Bauherr: Immobilienverwaltung Geißhalde GbR
  • Planung, Bauleitung: Architekturbüro Rapp & Bihlmaier, Schramberg
  • Instandsetzung Fenster: King Schreiner, Lauterbach / Maler & Stuckateur Lehmbau Glück, Lauterbach
  • Materialien innen: Holzgrund | Vorstreichfarbe weiß | Standölinnenfarbe seidenmatt weiß; oder Holzöl, 2x Standölinnenfarbe seidenmatt pigmentiert im Eichenton lasiert; alle von der Fa. Beeck
  • Materialien außen: Halböl, 2x Leinölfarbe dunkelbraun pigmentiert; alle Histolith von der Fa. Caparol

Quellen Fotos: (1, 2) Matthias Hangst | (3, 4, 5) Arkas Förstner | (6, 7) Achim Pilz

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