Eine Gemeinschaft aus drei Familien erhielt 2015 mit Ihrem Konzept des ökologischen Zusammenlebens den Zuschlag zum Erwerb des Ziegelhofs in Weimar. Es gab genug Platz für weitere zwei Familien. Allerdings wies einer der Baukörper – der ehemalige Schafstall – schwere Hausschwamm-Schäden auf und war zudem mit Schadstoffen belastet. Der Abriss des Schafstalls ließ sich nicht verhindern, obwohl die Gemeinschaft ihn gerne saniert hätte. Mittlerweile sieht die Gemeinschaft dies jedoch als glückliche Fügung, da durch den Ersatzbau die einst ungünstige Gebäudekomposition zu einem stimmigen Ensemble umgestaltet werden konnte. Auf diese Weise konnten bessere Belichtungsverhältnisse für die Bestandsbauten sowie ein schöner Gemeinschaftsplatz mit Bezug zur Nachbarschaft realisiert werden. Die im Bestand frei werdenden Räume nutzt die Gemeinschaft nun als Gästeräume und gemeinsam betriebenes Nachbarschaftscafé, das perfekt zur Abendsonne ausgerichtet ist. Städtebaulich bezieht sich der Neubau auf den Straßenverlauf – und schafft gleichzeitig eine eigene Identität am Ort. Teils mit Holzlamellen umhüllte Laubengänge und Balkone schützen das kompakte Bauvolumen und passen sich dem Rhythmus der vorhandenen Bebauungsstruktur an. So integriert sich der Neubau harmonisch in das vorhandene Stadtbild und bietet mit dem sich eröffnenden Zugangsplätzchen den neuen Treffpunkt für die Nachbarschaft.

(1) Sobald die Sonne in den Übergangszeiten komplett durch die großen Fensterflächen der Gartenseite scheint, wird nicht mehr zugeheizt | Bild: Florian Hoppe
(2) Nach Norden ist das Haus recht geschlossen. Durch den Laubengang ist es dennoch offen | Bild: Florian Hoppe
(3) Der Städtebau wird erst mit dem Laubengang vervollständigt. Das Dämmstroh zeigt sich lediglich durch die tiefen Laibungen | Bild: Nurgül Ece

Haus mit Statement – Stroh zu Gold

Die Entscheidung für das Bauen mit Stroh ergab sich aus ideellen und ökologischen Gründen. Der Abriss und die Schadstoffentsorgung zeigte den Familien, wie wichtig eine sondermüllfreie Bauweise für die Zukunft und die nachfolgenden Generationen ist. Sie wollten Ressourcen schonend und CO2-sparend bauen. Ausgeführte Strohbauten zeigten den Architekten schnell, dass sie das Stroh nicht nur wärmedämmend, sondern auch lasttragend einsetzen wollten. Die gewählten Jumboballen (240 x 120 x 70 cm) aus der unmittelbaren Umgebung sollten wie Mauersteine aufeinander gestapelt werden. Der Kooperationsbereitschaft und der Koordination aller Beteiligten war es zu verdanken, dass die baurechtliche Hürde, in einer nicht zugelassenen Bauweise zu bauen, schnell gemeistert wurde. Erfolgversprechend war bereits die positive Einstellung und Einigkeit über die Machbarkeit der Bauweise seitens Baubehörde, dem im Strohballenbau erfahrenen Statiker und den Bauleuten selbst. Die notwendige Zulassung im Einzelfall für die zweigeschossig lasttragende Bauweise wurde nach Vorlage entsprechender statischer Nachweise erteilt. Decken und Dach, ebenfalls ressourcenschonend in Holzbauweise errichtet, verdichteten die großen, vorgepressten, durch Bambusstäbe bewehrten Strohballen weiter. Das Bauteam erwartete die Setzungszeit in der Winterpause mit Spannung: die belasteten Strohballenwände schrumpften in sechs Wochen um 20 Zentimeter. Erst jetzt lagen die Ringanker zur Lastverteilung von Dach-, Decken- und Eigenlasten in der richtigen Höhe.

(4) Bevor Balkone und Laubengang montiert sind, zeigt sich das Stroh besonders schön durch die Rundungen des Kalkputzes | Bild: Nurgül Ece
(5) Charmant ist der Kontrast zwischen der „weichen“ Strohballenhülle und den kantigen Holzelementen der Fassade | Bild: Alexandra Schenker-Primus
(6) Großflächige Balkone schützen und formen die Hülle des Strohballenhauses | Bild: Florian Hoppe

Experimente: Grundriss und Heizung

Die jungen jeweils 5-köpfigen Baufamilien experimentierten weiter. Für das Grundrisskonzept reflektierten sie Tagesabläufe und die Anforderungen an die Nutzung der Räume nachhaltig. Das Erdgeschoss der beiden Wohneinheiten verbindet Wohnen, Essen und Kochen. Der große offene Raum ist mit einem Ballen um 70 Zentimeter höher ausgeführt als das Obergeschoss, das Schlafen und Bad aufnimmt. Die U-förmige Umschließung der Wohnflächen mit Stroh und die maximal möglichen Öffnungen nach Süden reduzieren in den Wintertagen den Heizbedarf. Das Strohballenhaus besitzt keine konventionelle Heizungsanlage mit Wärmeerzeuger, Wärmeverteiler und Heizflächen. Es gibt im Erdgeschoss jeder Wohneinheit lediglich einen Kaminofen. Die Bauleute waren sich sicher, dass die Öfen aufgrund der überdimensionalen Wärmedämmung durch die Strohballen und die passiven solaren Gewinne aus der Sonnenenergie ausreichend heizen. „Auch ohne Heizen wurde es nie kälter als 15 Grad“, bestätigt ein Eigentümer, nachdem mal eine Woche keiner zuhause war. In ihrem ersten Winter verbrauchte die Baufamilie nur vier Raummeter Holz. Dies gelingt, weil zur Speicherung der Wärme im Inneren viel Speichermasse in Form von Lehmschüttungen in Deckenaufbauten, Lehmsteinausfachungen und Leichtlehmschüttungen in den Holzrahmenkonstruktionen der Innenwände verbaut ist. Diese Massen halten und verteilen die Wärme im Inneren, so dass auch im Obergeschoss keine weitere Wärmequelle erforderlich ist: „Für die eine Stunde, die man vor dem Schlafengehen oben ab und an mal friert, hätte sich eine Heizungsanlage nicht gelohnt“, sagt die Bauherrin. Der Bauweise mit Stroh ist es zudem geschuldet, dass die wasserführenden Leitungen im Haus so minimal wie möglich gehalten sind.

Taktisch klug für das Wärmeempfinden ist die Tatsache, dass eine der Wohneinheiten keine innenliegende Treppe ins Obergeschoss aufweist. Die Schlafebene wird dort über die Außentreppe und den Laubengang erschlossen. Der so zu spürende Temperaturwechsel ist immunstärkend und beeinflusst das Empfinden der Temperatur im Obergeschoss positiv. Eine Rutsch-Stange wie bei der Feuerwehr für den kurzen Weg nach unten ist zum Spaß der Kinder allerdings installiert. In die Zukunft blickend hat die Außentreppe einen weiteren klaren Vorteil: die Wohneinheit kann später ohne großen Aufwand in zwei Einheiten geteilt werden. Die EG-Wohnung soll dann barrierefrei und altersgerecht genutzt werden können.

(7) Das offene Erdgeschoss ist nicht nur im Rohbauzustand lichtdurchflutet | Bild: Studio Beetz
(8) In den Neubau ziehen alte Holztüren als neue Wohnungstüren mit ein | Bild: Nurgül Ece

Nachhaltigkeit auf allen Ebenen

Da das Dach des rückgebauten Bestandsgebäudes noch gut erhalten war, wurden Dachpfannen und verwertbares Holz für die spätere Verwendung beiseite gelegt. Diese sollen in noch geplanten Nebengebäuden eingesetzt werden. Ein Streifenfundament aus wenig Beton bildet die Basis für die Strohballenwände. Die Ballen selbst sitzen auf Glasschaumplatten auf dem Betonfundament. Minimal aber effektiv liegt verdichteter Schaumglasschotter zwischen Erdreich und Bodenplatte – ohne weitere horizontale Abdichtung. Diese Schicht ist kapillarbrechend, zugleich dämmend, ökologisch und wiederverwertbar. Massivholzdielen auf Lagerhölzern, Steinböden oder Parkett vervollständigen den Bodenaufbau im EG.

Variationsreiche Lehmbaustoffe

Lehm als regionaler und gesunder Baustoff ist neben Stroh und Holz ein weiterer wichtiger Baustoff für die Innenräume. Die Strohballen sind innen mit Lehm verputzt. Der Lehmgrundputz ist 3 cm stark direkt aufgetragen. Die Oberfläche bildet ein weiterer Lehmfeinputz. Dank der handwerklich aktiven Verwandtschaft der Bauherren konnte dieser in Eigenleistung und in Lehmbauworkshops ausgeführt werden. Das Stroh wird nach außen mit einem Kalkputz, ebenfalls direkt aufgetragen, winddicht abgeschlossen. Der gestrichene Putz zeichnet schön die weichen Formen der Strohballen nach. Laubengang und Balkoneinfassungen auf der Wetterseite schützen den Kalkputz vor Witterungseinflüssen.

(9) Die Lehmsteine in den Holzrahmentrennwänden puffern Wärme aus Sonne und Holz
(10)Stroh ist ein hervorragender Putzträger, der direkt verputzt werden kann
(11) Der 3 cm stark aufgebrachte Lehm puffert Wohnfeuchte und reguliert das Raumklima
(12) Holz- und Lehmsteinoberflächen erhalten Putzträger aus Schilfrohrmatten
Bilder: Nurgül Ece

So wenig Technik wie möglich

Das Gebäude verzichtet nicht nur auf die Heizungsanlage. Auch die Stromversorgung ist auf das Nötige reduziert. Zudem sind entweder Feldfreischalter oder abgeschirmte Kabel eingebaut. Das Haus erreicht wegen der hohen Wärmedämmstärke, passiver solarer Gewinne mit reichlich Speichermasse und der Photovoltaik-Anlage auch ohne mechanische Belüftung den KfW 55 Standard. Die auf dem Süd-Dach installierte Phtovoltaik-Anlage versorgt die Nutzer mit eigenem Strom, auch für die Warmwasserbereitung in den Pufferspeichern, die jeweils im Haupt-Bad untergebracht sind. Diese verfügen über Heizstäbe, die das Brauchwasser aufheizen, sobald die Sonne scheint. Die Baufamilien sind begeistert. Ihnen bietet das Strohballenhaus „pure Lebensqualität – gerade weil wir auch bewusst jeden Lowtec-Handgriff genießen!“

So, wie sich die Architekten den baubiologischen Neubau vorstellten, wurde er auch in der Realität

Baudaten Strohballen-Haus einsB in Weimar – Zweifamilienhaus

ArchitektenAlexandra Schenker-Primus mit HOA, Hoppe Arcitur GbR
Baujahr2017-2020
Wohnfläche250 m²
Reine Baukosten500.000 €

Bauteile /-elemente (jeweils Materialangaben / Stärken / Oberflächenbehandlung…)

Aufbau Außenwände – von außen nach innenKalkputz 3,5 cm | Jumbostrohballen 240 x 120 x 70 cm liegend im Versatz eingebaut | Lehmputz 3,5 cm | Wandstärke 120 cm
Aufbau InnenwändeSchwere Innenwände mit viel Speichermasse: Holzrahmen mit Ausfachungen aus ungebrannten Lehmsteinen | beidseitig Schilfrohrgewebe | Lehmputz 2,5 cm
Leichte Innenwände: Holzrahmen mit Strohleichtlehm-Schüttung | beidseitig Rauspundschalung als Putzträger | Lehmputz 2 cm
Aufbau Dach – von außen nach innenZiegeldeckung | Unterspannbahn | Sparrendachkonstruktion ungedämmt
Decke über 1.OG = Wärmedämmebene oberste DeckeRauspundschalung | Holzrahmenkonstruktion 70 cm auf Ringanker | Strohballendämmung 70 cm | Rauspundschalung
Bodenaufbau OGDielenfußboden | Lagerholzer/Blätonschüttung | Trittschall (Holzweichfaser) | Rauspund | Einschubdecke mit 11 cm schwerer Lehmschüttung | Unterseite (wahlweise): sichtig, holzverschalt, verputzt
Bodenaufbau EGParkett auf Lagerhölzern oder Natursteinplatten | Massivdielen auf Lagerhölzern aus Rauspundbrettern | Schaumglasschüttung verdichtet 35 cm
Fenster, TürenMassivholzrahmen aus Lärchenholz | 3-fach-Verglasung

Energetisches Konzept / Trinkwasser / Außenraumgestaltung

Erreichter EnergiestandardKfW 55
EnergiebedarfEndenergiebedarf: 59,2 kWh/m²a
Primärenergiebedarf: 20 kWh/m²a (Energiepass)
Energieverbrauch8 Ster Holz für beide Wohneinheiten | Strom mit Vergütung des verkauften Stroms ca. 0 €/a
Wärmeerzeuger und HeizmediumKaminofen
Photovoltaik18 kW Anlage
TrinkwasserversorgungVerbundrohre
AußenraumgestaltungStraßenseite versickerungsfähige Schotterflächen | Gartenseite Holzterrassen und Garten

Baubiologie

Luftschadstoffe / Raumklimadiffuisonsoffene, feuchteregulierende Bauweise | Südwestfassade mit großen Verglasungen zur Maximierung solarer Gewinne
Elektrosmogminimale Leitungsverlegung | Netzfreischalter | abgeschirmte Kabel
Weitere BesonderheitenJumboballen 2-geschossig lasttragend mit Zulassung im Einzelfall | Balkone und Laubengang in Bezug gesetzt auf stadträumliche Linienführung
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Film zum Strohballenhaus

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