Sanierung spätmittelalterliches Fachwerkhaus – Teil 1

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Mit Vollholz, Lehm, Kalk und baubiologischer Dämmung kann eine 560 Jahre alte Fachwerkkonstruktion als Wohnhaus und Architekturbüro weitergenutzt werden. Zudem erhält das historische Zentrum von Bad Mergentheim eine besonders schöne Fassade zurück.

In Bad Mergentheim (Baden-Württemberg) brannten um 1460 um die Ochsengasse etwa 50 Häuser ab. Darauf wurde u.a. das heutige Gebäude Nr. 13 mit einem alemannischen Fachwerk aus Eichenholz neu aufgebaut. Im Laufe des 16. bis 17. Jahrhunderts wurde es grundlegend zum Bauernhaus umgebaut, erhielt einen Gewölbekeller und als Anbau eine Scheune. 2013 kaufte der Architekt Rolf Klärle das inzwischen abbruchreife Gebäude. Als altbauerfahrener Planer und Zimmermann wollte er es neu beleben. „Menschen haben das Bedürfnis, sich mit einem Ort zu identifizieren. Wenn sie immer wieder erleben, dass Häuser abgebrochen werden und gesichtslose Bauträgerhütten entstehen, dann ist das unbefriedigend“, gibt er zu bedenken. Als er die Fassadenverkleidung auf der Rückseite abnahm und die Wände und Decken öffnete, wurde das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar. Doch der gelernte Zimmermann ließ sich nicht abschrecken: „Da relativ viel Substanz des spätmittelalterlichen Tragwerks da war, wollte ich diesen Originalzustand so weit wie möglich wieder herstellen. Das Fachwerk ist eines der wenigen dieser Art im Umkreis. Mir war es wichtig, es in seiner ursprünglichen, archaischen Art zu zeigen.“

Behutsame Modernisierung

So reparierte er die schöne Konstruktion in handwerklich herausragender Zimmermannsarbeit und machte sie dadurch sowohl außen als auch innen sichtbar. Auch die ursprünglich offenen Felder zwischen den Deckenbalken stellte er wieder her. So wirken die recht niedrigen Räume deutlich höher. Schließlich ergänzte er eine ab dem Obergeschoss vorhandene Spindeltreppe wieder bis ins Erdgeschoss.

Aufgrund der Nachbarbebauung sind an den Traufseiten keine Fenster möglich. Durch horizontale Schlitze im Dach und Öffnungen in den Decken lässt der Architekt stattdessen Tageslicht tief ins Gebäude hinunter. „Die geöffneten Decken und das Licht bilden sozusagen das moderne Element im Haus“, erklärt er.

Das Obergeschoss und die Dachgeschosse des Denkmals beherbergen heute eine große Wohnung über drei Ebenen mit ca. 170 m² Nutzfläche. Mit einer noch fertigzustellenden Terrasse über dem Anbau – aus der Küche über einen kurzen Steg zugänglich – bietet die sanierte Wohnung nun Platz für eine große Familie. Aktuell nutzt sie der Architekt selbst.

1 Die Ochsengasse 13 in der Altstadt von Bad Mergentheim erstrahlt in neuem Glanz. Rechts ist das Tor zur Durchfahrt
2 Die Rückseite im Süden war hinter Wellplatten verborgen. Nach dem Abnehmen zeigt sie sich stark zerstört
3 Die gesamte Eichenkonstruktion war aus verschiedenen Gründen desaströs – hier wegen einer defekten Dachrinne
4 Im Obergeschoss beginnt die Wohnebene. Der hintere Anbau wird zukünftig zu einer weiteren Wohnung ausgebaut

Schiefes Tragwerk

Das Tragwerk war sehr stark verformt: Bis zu 50 cm Höhenunterschiede auf kurzer Strecke waren wahrscheinlich auf den nachträglichen Einbau des Kellers zurückzuführen. Klärle hob und verschob das ganze Tragwerk bis es wieder etwas besser im Wasser stand. „Wenn man sich mal so intensiv mit einem mittelalterlichen Haus beschäftigt, merkt man, dass es total einfach und archaisch ist. Da stecken noch überall die Holznägel drin, sodass man es auseinandernehmen und wieder zusammenstecken kann. Das hat mich sehr beeindruckt“, berichtet er. Die „gesunden“ Fachwerkhölzer strahlte er von außen mit Trockeneis ab und bürstete das gesamte Gebälk. „Es kamen wunderschöne Holzbalken raus“, ist er begeistert. Nun konnte er es aufwändig reparieren. Das Ergebnis ist überzeugend. „Man denkt, die handbehauenen Balken sind alle krumm und schief, aber manches neue Dach ist nicht so eben, wie dieses“, gibt Klärle zu bedenken.

Großzügige Belichtung

Auch die neue Belichtung wurde mit dem Denkmalamt abgestimmt. Im Dach bestand Klärle auf horizontale Lichtbänder. Im Osten blickt man nun durch ein 9,6 Meter langes Band über die Dächer in den Sonnenaufgang. „Wenn die Sonne über den First des Nachbarn kommt, ist es, als würde das Licht eingeschaltet werden“, ist er begeistert. „Dann kommt Tageslicht durch Reflektionen zwei Etagen tiefer und das Haus beginnt zu leuchten.“ Jeweils am Anfang und am Ende des ansonsten fest verglasten Bands lässt sich ein breites Lamellenfenster öffnen. Auch nach Westen gibt es ein Fensterband. Es liegt etwas höher, ist schmaler und komplett fest verglast. Neu sind auch die Dreiecksfenster oben in den Giebeln. Die Öffnungen für die zwei kleinen Fenster darunter sind vermutlich original. Erhalten und aufarbeiten konnte er die beiden historischen Fenster in der westlichen Traufseite.

5 Die neuen Fenster bringen viel Licht in die Küche. Von hier ist noch ein Steg auf eine Terrasse geplant
6 Nach dem Eingang öffnet sich der großzügige Vorraum zum Architekturbüro
7 Die liebevoll reparierte Treppe ist ein kontrastreiches Mosaik aus originalem und neuem Eichenholz
8 Morgenlicht bis in die Küche

Materialien erhalten und recyceln

Soweit es ging, verwendete Klärle bauzeitliche Materialien wieder. Alle Holzreparaturen und Ergänzungen führte er mit Holznägeln in Eiche aus – wie zur Bauzeit. Von dem originalen Lehmflechtwerk konnte er viel erhalten. Es wurde reduziert, ausgebessert und zurückhaltend mit fliederfarbener Lehmfarbe inszeniert. Überall dort, wo kein Lehmputz (mehr) war, wurde es innen mit Kalk verputzt. Auch die sorptionsfähigen, feuchtepuffernden Dämmmaterialien Holzweichfaserplatten und Zellulose sind baubiologisch und gleichen die Luftfeuchtigkeit aus. „Das Raumklima ist optimal. Auch wenn im Bad geduscht wird, gibt es keine Kondensationsfeuchtigkeit“, berichtet Klärle zufrieden. „Das ist absolut angenehm.“

9 Schlafzimmer mit der erhaltenen Lehmausfachung in fliederfarbener Lehmfarbe
10 Oberste Wohnebene mit Fensterband nach Osten und etwas höher liegend nach Westen
11 Wiederhergestellte Rückseite des preisgekrönten Wohnhauses. Das Architekturbüro liegt im Erdgeschoss des Anbaus. Darüber wird vermietet

Engagiertes Weiterbauen

Rolf Klärle hat eines der ältesten Häuser in Bad Mergentheim einfach, kräftig und ausdrucksvoll saniert und für die Nachwelt gerettet. Das Fachwerk wirkt heute wieder ruhig und archaisch. Eine legere Großzügigkeit empfängt Besucher*innen gleich hinter der Eingangstüre. Alles wirkt edel. Insgesamt 4.000 Stunden hat der Bauherr eigenhändig an dem Haus gearbeitet, das nun wieder das Stadtbild prägt und dafür mittlerweile ausgezeichnet wurde. Die Jury, die 2020 dem Haus den Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg verlieh, lobt, dass die Sanierung die „besondere historische Bedeutung und Schönheit des alemannischen Fachwerks mit kompliziert verblatteten Holzverbindungen vor Augen geführt“ habe. So ist die engagierte Sanierung nicht nur ein großer Gewinn für Bad Mergentheim sondern auch für eine nachhaltige Baukultur.

Haus Steckbrief

Sanierung Fachwerkfassade Bad Mergentheim

Baujahrca. 1460
Sanierungbis 2020
BauherrRolf Klärle
Nutzfläche170 m² (Wohnen) + 106 m² (Büro)
Fassade Giebel (von innen nach außen)Kalkfarbe | Rotkalkputz 12 mm | Gipsfaserplatte 20 mm | Holzlatte bzw. Holzweichfaserdämmung 100 mm | Kompressionsband | Holzfaserplatte 20 mm | historisches Eichenfachwerk geölt 160 mm | dazwischen Kalkputz mit Gewebeeinlage 12 mm
Fassade Traufe (von innen nach außen)bestehendes Eiche-Fachwerk | ausgefacht mit best. Strohlem auf Staken 160 mm | Lattung 30 mm | Holzfaser Putzträgerplatte 60 mm | Kalkputz mit Gewebeeinlage 12 mm
Deckenbest. Deckenbalken 190 mm | Fichte Dreischichtplatte 24 mm | Perlite Schüttung 40 – 60 mm | Holzfaserplatte 20 mm (Trittschall) | Kanthölzer 40 mm | Lärchen Dielen 26 mm
Dach (von innen nach außen)Eiche-Altsparren 140 00 | Höhenausgleich 0 – 20 mm | Fichte Dreischichtplatte 19 mm | KVH Sparrenaufdopplung | ausgeblasen mit Zellulosedämmung 260 mm | Holzfaserplatte 36 mm | Konterlattung 30 mm | Dachlattung 30 mm | Biberschwanz Doppeldeckung mit Altziegel
Planungarchitekturbüro KLÄRLE | Bad Mergentheim

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Abbildungen: Klärle Architektur

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