40 Jahre lang wurde der Bauernhof im historischen Ortskern von Schäftersheim im Main-Tauber-Kreis immer weniger genutzt. Bis 1995 wohnte nur die Besitzerin im Wohnteil. Der Rest zerfiel. Drei Jahre lang stand alles leer. Der Abriss war geplant. Doch glücklicherweise entschied sich das Planungsbüro „Klärle – Gesellschaft für Landmanagement und Umwelt mbH“, das Ensemble für ihren neuen Bürositz mit hohem persönlichen und finanziellen Aufwand zu sanieren. Von 2012 bis 2014 wurde der Hof vom Architekturbüro Rolf Klärle, Dipl.-Ing. freier Architekt BDA aus Bad Mergentheim, dem Bruder der Bauherrin, zum Plusenergieensemble Hof8 umgeplant und ausgebaut. Wieder verwendete Bauteile und -stoffe optimierten die Lebenszykluskosten. Verschiedene Nutzungen beleben das Ensemble neu und stärken das 700-Seelen-Dorf. Hof8 hat heute wieder etwa 50 Nutzer und Bewohner.

Dörfliche Architektur

Das Ensemble besteht aus einem eingeschossigen Gebäudewinkel und einem gegenüberliegenden, zweigeschossigen Bauernhaus. Ein in den 1950ern an den Winkel angebauter Schweinestall wurde abgerissen, so dass der Hof jetzt wieder zur Straße geöffnet ist. Das Bauernhaus steht nun als Solitär dem Gebäudewinkel aus Stall, Scheune und einem länglichen Remisengebäude gegenüber. Eine Wohnstraße begrenzt den Hof an zwei Seiten.

Es brauchte viel Planung, um die vorgesehenen Nutzungen zu optimieren und um Nutzungskonflikte zu minimieren. Nach dem Entwickeln einiger Varianten sind heute im Bauernhaus das Planungsbüro „Klärle – Gesellschaft für Landmanagement und Umwelt mbH“, im ehemaligen Stall die Hebammenpraxis „Das Lebenshaus“ und in der Remise zwei barrierefreie Wohnungen mit insgesamt ca. 250 m2 Wohnfläche untergebracht. Scheune und Dachboden über der Praxis sind für die zukünftige Nutzung vorbereitet und bieten noch viel Raum für die weitere Entwicklung. Angedacht sind ein kleines Hofmuseum, eine Büroausstellung und Theaterproben. Der Hof hat heute statt Asphalt einen wasserdurchlässigen Bodenbelag und verbindet alle Gebäudeteile. Sein Zentrum ist der wiederhergestellte Brunnen.

„Der Anspruch war Zukunftsfähigkeit und eine Architektur mit Qualität. Die Form und Materialwahl sollte einerseits den bestehenden alten Gebäuden entsprechen“, erklärt Rolf Klärle. „Andererseits sollte es nicht historisierend oder gar nostalgisch wirken und den neuen Nutzungen gerecht werden.“ So hat er die Grundform der Gebäude sehr reduziert herausgearbeitet, was seine Architektur auch ein bisschen kühl wirken lässt. Eine optisch hinter der Fassade versteckte Regenrinne etwa ist bautechnisch kein robustes Detail und unnötig riskant.

„Wir wollten beweisen, dass es möglich ist, auch mit historischen Gebäuden einen Plus-Energie-Standard zu erreichen. Und das geht nicht nur in den großen Städten Berlin und Hamburg, mit maximalen Förder-Geldern und maximalem technischen Aufwand, wo man gerade mal die Plus-Energie-Grenze erreicht. Der ländliche Raum bietet viel mehr Spielraum für gute Architektur. Hier haben wir mit lokalen Handwerkern und dem eisernen Willen, dies zu tun, relativ leicht sogar 180 % Plus-Energie geschafft.“

Statement der Bauherrin, Prof. Dr. Martina Klärle

Bauernhaus als Solitär

Das freigestellte alte Bauernhaus markiert nun deutlich das bauliche Zentrum der ehemaligen Hofanlage. Durch den Rückbau des Schweinestalls sowie der umgebenden Mauern und Zäune und das Freiräumen der Hoffläche wird er als Monolith herausgestellt und wirkt nun fast etwas isoliert. Ohne Begrenzung vereinnahmt der Straßenraum die angrenzende Grünfläche. Nur eine alte Linde ist ihm ein ebenbürtiges Gegenüber, vermittelt im Maßstab und spendet zudem in den Morgenstunden Schatten. Die moderne Fassade aus vertikalen Holzlamellen arbeitet die Konturen des Gebäudes heraus und schärft sie zu einer Art Kristall. Die Dachflächen wurden umsichtig als fünfte und sechste Fassade behandelt. Im Nordosten laufen die Holzlamellen der Fassade weiter über das Dach. Dachflächenfenster sind darin bündig eingearbeitet. Nach Südwesten erhielt die Dachfläche aufwändig integrierte Photovoltaik. Sie erscheinen als die eigentlichen Dachflächen und nicht wie sonst häufig als störende Aufsätze. Die ursprünglichen Öffnungen der Fassade wurden alle übernommen. Nur eine Tür wurde zu einem Fenster verkleinert. Ihre Formate und Anordnung weichen kaum merklich voneinander ab. Das bringt eine angenehme Spannung in den modernen Baukörper. Die neuen Fensterläden lassen sich hinter die Holzlamellen schieben.

Historisches Ambiente

Im Inneren des Bauernhauses wurde das Erdgeschoss erheblich großzügiger gestaltet, zudem wurden einige Wände entfernt, der ursprüngliche Grundriss bleibt dennoch erlebbar. Das Obergeschoss wurde in seiner Raumabfolge und -wirkung belassen. Die Fugen des Mauerwerks der Außenwände wurden innen überarbeitet und mitsamt den Balken überlasiert. Dieses Herausarbeiten des nur stellenweise interessanten Mauerwerks wirkt allerdings mitunter pittoresk. Eine brüstungshohe Vertäfelung war im Sekretariat original erhalten geblieben. Sie wurde ergänzt und verbirgt nun die Installationen. Wo es keine schöne Substanz gab, wurden Gipskartonplatten eingebaut, deren Oberflächen im Vergleich zur sonst meist anzutreffenden Qualität abfallen. Die Neigung und Austretungen der Stufen der aufgearbeiteten Bestandstreppen hingegen erzählen viel von der Nutzung und den Setzungen über die Jahrzehnte. Das Dachgeschoss wird durch neue Dachfenster belichtet. Sein Gebälk war in den 50ern erneuert worden – als einfaches Notdach. In diesem Bereich erhielt es neue Konstruktionshölzer. So sind dort sehr attraktive Arbeitsplätze entstanden.

Regenerative Energie und Nachhaltigkeit

Alle Gebäude wurden außen mit bis zu 30 cm Zellulose wärmegedämmt. Die Lüftung mit Wärmerückgewinnung versorgt das Bürogebäude mit Frischluft. Die Fenster sind dreifach verglast. Photovoltaik und eine Grundwasser-Wärmepumpe erzeugen ausschließlich regenerative Energie. Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und eine Beleuchtung mit LEDs sorgen für einen sparsamen Verbrauch. Obwohl alte Gebäudeteile wie Gewölbekeller oder Sockelmauern nicht dem Passivhaus-Standard entsprechen, ist der Hof in der Bilanzierung aller Komponenten dennoch deutlich im Energie-Plus-Bereich.

Der zugeschüttete Brunnen wurde wieder instand gesetzt. Er ist nun ein einladender Treffpunkt im Hof und versorgt das gesamte Ensemble über ein Nahwärmenetz mit Wärme. Ihm wird zum Betreiben der Wärmepumpe 10 bis 12 °C warmes Wasser entnommen, um 3 °C abgekühlt und wieder in einen Schluckbrunnen geleitet. Der Technikraum befindet sich in dem jetzt vertieften ehemaligen Kartoffelkeller des Bürohauses. Hier wurde auch die Wärmepumpe eingebaut.

(1) Der sanierter Hof8 produziert 80 % mehr Energie als er verbraucht
(2) Jahrelang stand das Ensemble leer und sollte schon abgebrochen werden. Die Bauherren und der Architekt retteten es
(3) Kristall mit Holzlamellen: Im alten Wohnhaus befindet sich heute das Büro. Die Dachfenster auf der Nordseite wirken besonders modern. Die Südseite ist mit Photovoltaik eingedeckt
(4) Stattliche Büroarbeitsplätze unter dem Dach: Alte Balken und die historischen Giebel sind mit minimalistischen Elementen kombiniert
(5) Der behutsam geschützte Baum ist als Schattenspender willkommen
(6) Der Hof bietet genug Platz für Fahrräder, zum Feste feiern und Kontakte knüpfen
(7) Ästhetisches Gebäude und Materialien: Von den Parkplätzen führen Treppenstufen aus wiederverwendeten Kalksteinen auf den Hof mit dem reaktivierten Brunnen
Bildquelle: (1-6) Klärle GmbH | (7) Brigida Gonzalez

Strom für alle

Den Dachflächen mit der Photovoltaik widmete Rolf Klärle genauso viel Aufmerksamkeit wie den übrigen Fassaden. Das Dach und der Anschluss der Rinne detaillierte er besonders umsichtig. So treten die Module mit ihren zurückhaltenden schwarzen Rahmen in den Hintergrund und erscheinen als eigentliche Dachfläche. Sie sind nach Südosten und Südwesten orientiert. überschüssiger Solarstrom wird ins Netz eingespeist. In Zukunft sollen auch Nachbarn direkt davon profitieren. Geplant ist auch nachts und ohne Sonne Eigenstrom zu nutzen. Dazu sollen zwei Kleinwindkraftanlagen errichtet werden. Eigene Batterien amortisieren sich erst nach 12 Jahren. Alternativ bietet der Energieversorger an, Batterien zu finanzieren, mit denen er auch das eigene Stromnetz puffern kann. Eine andere Möglichkeit ist, ein elektrisches Carsharing anzubieten und die Autobatterien zum puffern einzusetzen. 70 MWh sollen pro Jahr produziert werden, 33 MWh davon als Überschuss. Schon heute können alle Mitarbeiter/innen die Ladestationen kostenfrei nutzen. Die Ladestation an der Straße ist momentan auch für Fremde kostenfrei zugänglich. Ein Zähler hätte über 6.000 Euro mehr gekostet und wäre damit nicht rentabel gewesen.

Sinnliche Materialien

Der Architekt konzentrierte sich auf wenige Materialien. Muschelkalksteine und Holz bieten einen angenehm natürlichen Charakter und viel Sinnlichkeit. Lesesteine aus den Feldern, Backsteine und Ziegel aus dem Dorf sind weitere prägende Details. Die neu errichtete, landschaftliche Außentreppe besteht aus Steinen der alten Hoftreppe.Die neue Hoftreppe aus Metall wurde etwas vom Gebäude abgerückt. Auch die Steine des abgebrochenen Stalls wurden wieder verwendet. Mit einem Mehraufwand an Arbeitszeit wurde so der Gewinn an „grauer Energie“ optimiert. Im Inneren erzeugen aufgearbeitete Holztüren von 1890, eine Küche im Gewölbekeller, Bruchsteinmauern und Fachwerk Atmosphäre. Auch Decken mit Lehmwickel sind erhalten. Alle neuen Materialien stammen aus der Region. So zeigen Klärles mit ihrem Projekt, was mit dem entsprechenden Gestaltungswillen möglich ist. Viele der Angestellten kommen aus der Umgebung, ebenso wie die Kunden der Praxis. Somit geht das Konzept, den ländlichen Raum zu stärken, hervorragend auf. Schließlich können alle Nutzungen auch geändert werden. Die Praxis kann als Wohnung umgenutzt werden, die Wohnungen können zum Büro werden. Vor allem die größere Wohnung ist deshalb jetzt schon sehr transparent gehalten und zum Hof komplett verglast. Schön herausgearbeitet sind die Raumhöhen in den Wohnungen durch Nutzung bis unter den Giebel.

Ausgezeichnet Architektur

Das Ensemble erhielt 2014 einen Sonderpreis des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. Die DGNB verlieh ihm den Sonderpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises „Nachhaltiges Bauen“ und zeichnete es für seinen umfassenden Nachhaltigkeitsansatz, innovative Technologien und gestalterische Qualität aus. „Das ressourcenschonende Plusenergie- Ensemble trägt erheblich zur Belebung und funktionalen Stärkung der Ortsmitte bei“, lobt die Laudatio. „Für die historische Bausubstanz wurde eine gestalterisch selbstbewusste, aber angemessen sensible Lösung gefunden. … Hervorzuheben ist insbesondere die handwerklich und ästhetisch hohe Qualität der Integration der technischen Komponenten, vor allem der Photovoltaikflächen. Das Projekt setzt ein deutliches Zeichen für die Innenentwicklung im ländlichen Raum.“

ObjektUmfangreiche Sanierung eines Bauernhofs zum Plusenergie-Ensemble
Baujahr1850er Jahre (Wohngebäude)
Sanierung2012 – 2014
FlächenNutzfläche 750 m2 | Sonstige Flächen ca. 575 m2
Außenwand BüroLärche-Latten sägerau, unbehandelt; Konterlattung, Unterspannbahn, Holzfaserplatte 36 mm; Zellulose-Dämmung 200 mm; bestehendes Fachwerk, mit Ziegel ausgemauert, weiß lasiert. Schiebeladen Dreischichtplatte
Dach BüroZellulose-Dämmung 260 mm. Südseite mit integrierten PV, Nordseite mit Lärchen-Latten
Baukostenca. 1.700.000 Euro
Förderung218.690 Euro über Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum 2012
ArchitektRolf Klärle, Dipl.-Ing. freier Architekt BDA, Bad Mergentheim
BauherrenProf. Dr. Martina Klärle und Andreas Fischer-Klärle, Weikersheim
EnergiedatenWärmeerzeugung: Wärmepumpe (WP) entzieht Grundwasser über ertüchtigten Brunnen Wärme und speist sie in ein Nahwärmenetz. Photovoltaik auf drei Dächern (Orientierung: Südost und Südwest) mit insgesamt ca. 550 m2 und 108 kWp Leistung für alle Nutzgebäude, zwei Ladestationen für Elektroautos und die Wärmepumpe. Heizwärmebedarf: 10 kWh/m2a

Literaturtipp:

Gewerbebauten in Holz und Lehm


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  1. noch ein paar Bäume oder Begrünung, dann ist es perfekt.
    Gratulation zum vorbildhaften Projekt! Keine großen Glasflächen, die Überhitzung und Blendung nach sich ziehen, natürliche Materialien, tolles Energiekonzept – wenn das Projekt nicht so weit weg wäre, wäre würde ich es gerne besichtigen. Wie das Holz ohne Dachüberstand in 30 Jahren aussieht? Verwitterung kann auch schön sein. Bleibt dran.

  2. Hallo Herr Hollas,

    ich verstehe Ihre Wahrnehmung. Ich hatte es so formuliert: “Rolf Klärle hat die Grundform der Gebäude sehr reduziert herausgearbeitet, was seine Architektur auch ein bisschen kühl wirken lässt. Eine optisch hinter der Fassade versteckte Regenrinne etwa ist bautechnisch kein robustes Detail und unnötig riskant.”
    Im Inneren aber hat er sehr viel von der Substanz erhalten. Auf diesem Niveau finde ich, sollte man Architekten zugestehen, dass sie am Diskurs ihrer Berufsgruppe teilnehmen. Und der geht weiter in Richtung Minimalismus.
    In Bad Mergentheim hat er jüngst ein wunderbares mittelalterliches Fachwerkhaus erhalten, das sonst abgerissen worden wäre. Wir werden noch berichten.

    Beste Grüße.
    Achim Pilz

  3. Die Neugestaltung dieses ehemaligen Stall- bzw. Nebengebäudes wird für sehr gelungen gehalten. Auch nichts gegen Photovoltaik, sofern sich die elektromagnetischen Belastungen für die Nutzer des Dachgeschosses in Grenzen halten.
    Das Wohnhaus allerdings hätte man wegen seiner ortsbildprägenden Fassade schon im Bestand erhalten sollen. Baukulturelle Ästhetik kann hier nur Ablehnung empfinden.

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