Gerold Ulrich ist bekennender Ökologe, Malermeister, Restaurator und Bauforscher. Mit großer Erfahrung verarbeitet und stellt der Österreicher mineralische Materialien ohne giftige Zuschläge her. Der 63-jährige brennt seinen eigenen Kalk mit Holz über fünf Tage bei ungefähr 900 °C. Diesen niedrig und langsam gebrannten Kalk verwendet er für Spezialrezepte, die sowohl für denkmalgeschützte Gebäude als auch für Neubauten zum Einsatz kommen. Denkmalen gibt er so ihre ursprüngliche Schönheit zurück und verleiht Neubauten eine natürliche Einzigartigkeit. Doch er verarbeitet nicht nur baubiologische Kalkprodukte, sondern auch pur produzierte Lehm-, Kreide- und Gipsbaustoffe.

Kalk für Altbau

Ulrichs Kunden hatten 2005 noch kein Vertrauen in seinen ersten Kalkbrand. Kurzerhand sanierte er damit das 190 Jahre alte Brettauer Haus im österreichischen Hohenems und bewahrte es vor dem Abriss. Den damaligen Energiestandard übertraf er mit ökologischen Dämmmaterialien weit. Es folgten Aufträge in der Schweiz, wo Normen nicht so viel gelten wie in Deutschland und weitere. Eine kleine Auswahl an realisierten Projekten macht seine Vielseitigkeit deutlich.

Gestampfter Kalkboden

Als Ulrich 2010 für die Renovierung der Landesgedächtniskapelle der Basilika Rankweil, ca. im Jahr 700 erbaut, von Cukrovicz Nachbauer Architekten hinzugezogen wurde, hatte die Kapelle noch eine Betonplatte aus den 1970er Jahren als Boden. Der Restaurator freute sich sehr, als darunter ein historischer Kalkboden zum Vorschein kam. Er bestärkte die Architekten, diesen nach historischem Vorbild wieder herzustellen und seine Dichtigkeit unter Beweis zu stellen, indem sie ein kleines Wasserbecken einstampften. Für den Boden löschte Ulrich seinen Kalk trocken, wodurch sich sein Wasserrückhaltevermögen verbessert und sein Schwinden verringert. Zum Trockenlöschen wurden auf Schalbrettern im Sandbett Stückkalk, Sand und Schotter geschichtet und mit der dafür erforderlichen Menge Wasser übergossen. Nach einer „Gedeihzeit“ von sieben Tagen stachen ihn seine Mitarbeiter ab, mischten ihn und brachten ihn 10 – 15 Zentimeter stark auf dem mit Schaumglasschotter gedämmten Boden aus. Dort stampften sie ihn, bis Wasser an die Oberfläche kam. Nachdem es verdunstet war, stampften sie wieder und verdichten ihn innerhalb von drei Monaten um insgesamt 1 – 2 Zentimeter. Dabei schlossen sie auch aufkommende Schwindrisse. Beim Wasserbecken arbeiteten sie besonders gründlich, so dass sich dort heute Regenwasser sammelt, das durch ein Loch der Decke tropft und so Innen und Außen verbindet. Abschließend bürsteten sie die Steine frei, um die Reste der historischen Oberfläche der neuen anzupassen und seiften den Boden. Die Seife reagiert mit dem alkalischen Kalk und verschließt die Poren, so dass er wasserundurchlässig wird.

Auch die angrenzende Fridolinskapelle erhielt einen Kalkboden und einen Kalkputz. Den noch feuchten Kalk von Boden und Gewölbe färbte Ulrichs Mannschaft mit in Wasser gelöstem Rebholzpigment tiefschwarz ein. Das Sinterwasser umhüllt das Pigment transparent und macht es nach der Trocknung wischfest.

(1) In seinem Kalkofen brennt Gerold Ulrich Kalk bei Wind und Wetter über fünf Tage bei ca. 900 Grad.
(2) Magisch mineralisch: Wie im Jahr 700 verbindet Kalk in der Landesgedächtniskapelle der Basilika Rankweil heute wieder schroffen Fels mit eleganter mittelalterlicher Architektur.
(3) Über drei Monaten wurde der Mörtel verdichtet und die Oberfläche abschließend geseift. Heute ist der Boden wasserfest, wie die mit Regenwasser gefüllte Vertiefung zeigt.
(4) Um den neuen Kalkboden (links im Bild) den Resten der historischen Oberfläche anzupassen, wurden die Steine freigebürstet.
(5) In der Fridolinskapelle färbte Gerold Ulrich den noch feuchten Kalk von Boden und Gewölbe mit Rebholzpigment tiefschwarz ein.

Selbstheilender Kalk

Bei dem sechsgeschossigen Bürobau „2226“ von Baumschlager Eberle in Lustenau/Österreich liegen die Fenster tief in der Fassade. Die 75 Zentimeter starken Ziegelwände sind innen wie außen mit Kalk verputzt. Außen verarbeiteten Ulrichs Mitarbeiter 2013 seinen Oberputz aus fast reinem Kalk auf 2.500 m2. Dazu löschten sie den Kalk auf historische Art und Weise, indem sie ihn mit einem Korb in Wasser tauchten, kurz ziehen ließen und wieder herausnahmen. Darauf zerfiel er in Pulver und Kalkspatzen, die sie über 4 mm aussiebten. Dann mischten sie ihn mit Wasser, wenig gelbem Sand für die Farbigkeit und Hanfschäben und ließen ihn drei Tage ruhen. Die Schäben nehmen keine Feuchtigkeit auf und bleiben größenstabil. Sie geben Struktur und sorgen dafür, dass dick genug geputzt wird. „Die meisten Handwerker neigen dazu, zu wenig aufzutragen“, erklärt der Fachmann. „Wenn Schäben drin sind, musst du so dick auftragen.“ Auf einem 15 Millimeter starken Unterputz aus Kalk – für eine kürzere Standzeit mit einem Zusatz von 2 % Zement – trugen sie ihn acht Millimeter stark auf. Vor Sonne und Wind geschützt zogen sie mit der Traufel ab und glätteten mit der venezianischen Kelle nach – zuerst die Leibungen und dann die übrigen Flächen. Die Kanten zogen sie frei Hand. Nach Fertigstellung zeigten stellenweise Haarrisse die Steinfugen an. Diese Risse verfüllten sich aber mit der Zeit durch Kalkmilch aus den ausreagierenden Kalkspatzen.

(6) Bei dem Bürobau „2226“ in Lustenau ist Kalk als Fugenmörtel sowie Innen- und Außenputz integraler Bestandteil der modernen Gestaltung.
(7) Der fette Putz aus niedrig gebranntem Kalk wurde mit der venezianischen Kelle geglättet. Haarrisse heilt er von innen heraus.
(8) Hanfschäben machen den Putz auch von nahem lebendig. Zudem garantieren sie, dass der Auftrag entsprechend dick ist.

Wasserschaden trocknet

Die scharfkantige Gestaltung mit raffinierten Details ohne jeglichen Dachüberstand mutet dem Kalk viel zu. Die horizontalen Flächen sind mit dünnen Sandsteinplatten belegt, deren Kanten dünn überputzt wurden. Für große Flächen wurden die Platten gestoßen und die Fugen mit Blei abgedichtet. Ulrich berichtet von einer Leckage: „Da war ein großer dunkler Fleck von zehn Quadratmetern. Es sah aus wie ein großer Schaden,“ erinnert er sich. „Aber tatsächlich gab es nur einen ganz kleinen Frostschaden, den man schnell ausgebessert hat. Das andere ist ausgetrocknet und heute nicht mehr sichtbar.“ Neue Gebäude nach dem Vorbild von „2226“ sind allerdings inzwischen mit einer Attika ausgestattet.

Lehm wie Leder

Ulrich war auch einer der ersten, der den von Martin Rauch entwickelten Lehm-Kaseinspachtel („s. Handwerkliche Oberflächen mit Lehm“) gekonnt verarbeitete. Inzwischen sind es tausende von Quadratmetern, auch in öffentlichen Gebäuden. Eines seiner letzten Projekte war 2018 die Landwirtschaftsschule im Schweizer Salez mit 3.600 m². Der Lehm-Kaseinspachtel kann auf allen tragfähigen Untergründen fugenlos verarbeitet werden – auf Böden, Wänden und Möbeln. Seine ledrige, weiche Haptik ist einmalig. Im Ateliergebäude von Boltshauser Architekten in Zürich überspachtelte Ulrich die Küchenmöbel mit hellockerfarbenem, Böden und Wandbereiche mit dunkelgrauem Lehmkasein.

(9) Im Ateliergebäude von Boltshauser Architekten in Zürich veredelt Lehm-Kasein die Küchenmöbel, Wandnische und Böden.
(10) Die Erdfarben des ledrigen Spachtels sind untereinander mischbar.
(11) Aus Altersgründen sucht Ulrich einen Nachfolger für sein Unternehmen und die ökologisch gebaute Werkstatt. Seinen Kalk wird er weiterhin brennen.

Experimente

Immer wieder experimentiert Ulrich. Für die Umnutzung eines Stalls in Wohnraum hat er gerade einen fußwarmen Bodenbelag aus Magnesit, Kork, Sägemehl und gemahlenen Hanfschäben entwickelt. Geschliffen und geölt ist er wieder ein handwerkliches Unikat und wie alle seine Arbeiten nicht nur schön anzusehen, sondern auch schön zu berühren.

Experimentierfeld sucht Nachfolger

Zu Hochzeiten organisierte Gerold Ulrich in seiner ökologisch gebauten Werkstatt im Österreichischen Satteins bis zu 30 Mitarbeiter*innen. Er selbst war von früh bis spät unterwegs. Weil er rechtzeitig seinen Lebensabend gestalten wollte, reduzierte er 2019 auf einen Mitarbeiter. 2022 war seine letzte öffentliche Veranstaltung ein Stand auf der österreichischen Messe Com:bau, zusammen mit dem Energieinstitut Vorarlberg. Seitdem ist er nur noch beratend und entwickelnd tätig. So hat er für die Umnutzung eines Stalls zu Wohnraum aktuell einen fußwarmen Bodenbelag aus Magnesit, Kork, Sägemehl und gemahlenen Hanfschäben entwickelt, den er geschliffen und geölt hat. Sein Unternehmen möchte er an einen engagierten Handwerker weitergeben und sich dem Kalkbrennen und der biodynamischen Landwirtschaft widmen.

Quellen Fotos: (1, 2, 3, 4, 5, 8, 9, 10, 11) Achim Pilz | (6, 7) Eduard Hueber/archphoto

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