Erst abgeschirmt – dann abgerissen

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Was passieren kann, wenn ohne professionelles Abschirmkonzept gearbeitet wird: In einer guten Münchner Wohngegend steht ein gepflegtes Vorkriegshäuschen. Offensichtlich frisch saniert und mit einem neuen Dach gekrönt. Seltsam nur, dass alle wertvollen Kupferteile schon wieder demontiert wurden. Die Eigentümerin bestätigt: Das Haus wird abgerissen!

Schade, der Vater war hier bei guter Gesundheit hundert Jahre alt geworden. 1938 hatte der Arzt das Haus für die Familie gebaut. Seine Tochter – die gegenwärtige Bewohnerin – ist im Haus aufgewachsen und auch beruflich in seine Fußstapfen getreten.

Die Stationen

Vor einigen Jahren ließ die Besitzerin aus gesundheitlichen Überlegungen mehrere Feldfreischalter einbauen. Danach bestand offenbar weiterer Verbesserungsbedarf, denn ein so genanntes „Harmonisierungssystem“ wurde zusätzlich angebracht. Der Slogan hierzu lautet sinngemäß: „Noch nie hat sich Elektrosmog so angenehm angefühlt“. Das Produkt mache Elektrosmog biologisch positiv, was sich günstig auf Immunsystem und Lebensqualität auswirke, so die Produktbeschreibung. Die Felder und Wellen würden energetisch verändert und verlören schädliche Eigenschaften.

Nach der Investition in dieses System scheint es folgerichtig, sich eine möglichst große Dosis des wohltuenden Elektrosmogs zu gönnen. Folglich wurden die Feldfreischalter zuerst deaktiviert und schließlich ausgebaut. Interessant sind die Empfindungen der Bewohnerin: Spannungsführende Leitungen werden plötzlich toleriert, ja unter Lampen scheint sie sich sogar zu erholen. Aus Begeisterung leuchten im ganzen Haus Tag und Nacht schwache Glühbirnen. Die nun positiv gewordene Energie soll fließen können. Physikalische Größen, die zuvor bedrohlich besetzt waren, werden in Stärkungsmittel umgewidmet. Die Bewohnerin findet dennoch keinen angenehmen Schlafplatz im Haus. Die schulmedizinische Diagnostik zeigt multiple Allergien. Entzündungen wollen einfach nicht heilen. Nur unverfälschte Naturmaterialien werden toleriert.

Vielleicht kann ein Gesundheitsberater weiterhelfen? Dieser macht beim Ortstermin weiteres Sanierungspotential aus: Hochfrequenzeinwirkungen werden festgestellt. Kann man dagegen etwas tun? Klar! Eine Abschirmung muss her – sicherheitshalber alle Wände und das Dach gleich mit. Daraufhin wird unter der Dacheindeckung ein Kohlefasergewebe eingebaut und die Fassade von außen mit Abschirmfarbe gestrichen. Geerdet wird kurzerhand am Blitzableiter, indem die leitfähige Farbe an die Befestigungsschellen gestrichen wird. Elektrotechnische Aspekte des Personen- und Sachschutzes bleiben unberücksichtigt.

Subjektive Wahrnehmung

Nach Durchführung der Maßnahmen zeigen sich verstärkte Symptome. Die Bewohnerin klagt über Spasmen der glatten Muskulatur, Herzschmerzen und Blutdruckerhöhung. An einen ausgeglichen Zustand oder gar erholsamen Schlaf ist im Haus noch weniger als davor zu denken. Ob das wohl mit der Abschirmung zusammenhängt? Wirkt diese vielleicht nur technisch, nicht aber biologisch? Der in der Nähe der Wände verstärkte Ausschlag eines Pendels wird als Indiz dafür interpretiert. Vermutung der Bewohnerin: Abschirmmaterialien mögen ja für technische Geräte messbar und wirksam sein, für Menschen wohl nicht. Mit dieser Fragestellung wendet man sich an das IBN. Eine professionelle Messung soll Licht ins Dunkle bringen, auch wenn Abriss und Neubau bereits entschieden ist.

Professionelle Nachmessung

Als Bestandsaufnahme wird eine Messung nach dem Standard der Baubiologischen Messtechnik (SBM) durchgeführt. Im Bereich „Strahlung“ erfolgen Messungen von elektrischen und magnetischen Wechsel- und Gleichfeldern, hochfrequenten Wellen und Radioaktivität. Bewusst wird der Untersuchungsrahmen weit gesteckt und nicht nur der angefragte „Elektrosmog“ gemessen. Vor dem Haus werden als Summenbelastung aus Mobilfunk und Funktelefonen 15 μW/m2 gemessen. Angesichts der Großstadtlage kein hoher Wert. Im Haus ergibt die Hochfrequenz-Spektralanalyse nur noch 0,3 μW/m2. Die Abschirmung wirkt also. Magnetische Wechsel- und Gleichfelder sind unauffällig.

Die Radioaktivität liegt im üblichen Rahmen von Ziegelbauten. Hohe Werte werden hingegen bei der Messung der elektrischen Wechselfelder festgestellt. Im Bereich des Schlafplatzes werden selbst die Richtwerte für Computerarbeitsplätze um ein Vielfaches überschritten.

1 Messungen am Schlafplatz entsprechen dem Standard der Baubiologischen Messtechnik (SBM)
2 Saniertes Vorkriegshäuschen vor dem Abriss

Grundlagen: Feldtheorie

Elektrische Wechselfelder gehen von allen unter Wechselspannung stehenden Leitungen und Geräten aus. Da beim Energieversorger der Gegenpol mit dem Erdpotenzial verbunden ist, breiten sich die Felder vom Leiter in Richtung Erdpotenzial aus. Neben der Höhe der Spannung bestimmt der Abstand zwischen der Feld-„Quelle“ und der Feld-„Senke“ die Stärke des elektrischen Feldes. Reduziert man bei gleicher Spannung den Abstand zwischen Quelle und Senke, so wird damit die elektrische Feldstärke erhöht. Bei diesem Haus blieb die Quelle (Leitungen, Geräte) unverändert, die Feldsenke (das Erdpotenzial) wurde – durch die Erdung der leitfähigen Wände – näher an den Aufenthaltsbereich geholt. Die Folge: Da in diesem Fall die Leitungen im Haus (Stichwort: „wohltuender Elektrosmog“) spannungsführend bleiben sollten, wurden die elektrischen Feldstärken stark erhöht.

Sanierungsziele

Bei Abschirmmaßnamen müssen – gerade von vorsorgeorientierten Baubiolog*innen – viele Aspekte berücksichtigt werden. An vorderster Stelle ist der Personen- und Sachschutz zu gewährleisten. Erforderlich sind der Einsatz eines Fehlerstrom-Schutzschalters sowie die Beachtung von Blitzschutz-Aspekten. Eine Erdung über Anstreichen der Farbe an den – in geringer Distanz zur Abschirmung geführten – Blitzableiter ist höchst fragwürdig. Bei einem Blitzschlag könnten Teile des Blitzstroms über die Abschirmung fließen. Brand- und Personenschäden wären die mögliche Folge. Aus Sicht der gesundheitlichen Vorsorge ist eine Reduzierung hochfrequenter Felder um den Preis der Erhöhung niederfrequenter Feldstärken nicht zielführend und steht im Widerspruch zum ganzheitlichen Anspruch der professionellen Baubiologischen Messtechnik.

Fazit

Mittlerweile ist der Abriss erfolgt. In den Neubau werden große Hoffnungen gesetzt. Wird hier wieder auf ein konsequentes baubiologisches Konzept verzichtet, ist der gewünschte Erfolg fraglich. Fest steht, dass es stimmige baubiologische Lösungen gegeben hätte – und zwar zu einem weitaus günstigeren Preis.

Hersteller in der Pflicht

Professionalität tut Not. Dieser Herausforderung sollten sich die Hersteller von Sanierungsprodukten im eigenen Interesse stellen. Zu oft wird nur vage auf allgemeine Regeln der Technik verwiesen. Anwender und Elektriker stehen damit vor kaum lösbaren Problemen. Produktinformationen des Herstellers sollten exakte Vorgaben zu technischen Voraussetzungen, Verarbeitung und Erdung enthalten. Nur richtig platzierte Anschlüsse in Kombination mit den nötigen Schutzmaßnahmen (wie Sicherung, RCD) gewährleisten das sichere Abschalten im Fehlerfall.

Auch die nötige Form des Netzsystems sollte nicht unerwähnt bleiben. Besonders in Altbauten liegen oft TN-C-Systeme vor. Wird hier am kombinierten Erd- und Schutzleiter geerdet, können Ströme über die Abschirmung fließen. Das wäre weder elektrotechnisch noch baubiologisch wünschenswert. Unvollständige Verarbeitungsrichtlinien mögen kurzfristig den Absatz erhöhen, weil mögliche Probleme unerwähnt bleiben. Einen nachhaltig guten Ruf werden jedoch nur professionelle Lösungen begründen.

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Bilder: Stephan Streil

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