Erdbebensicheres Bauen mit Lehm im ländlichen Raum

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Weltweit beweisen zahlreiche historische wie neue Gebäude, dass bei Beachtung einiger baukonstruktiver Maßnahmen auch mit Lehm erdbebensicher gebaut werden kann. Viele Tote, Verletzte und um ihre Existenz gebrachte Menschen könnten so vermieden werden.

Lehm als Baumaterial in Erdbebengebieten hat seine Akzeptanz oft deshalb verloren, weil die meisten modernen Gebäude mit Lehmwänden nicht erdbebensicher gebaut waren und weil Lehm als Baumaterial für die Armen angesehen wird. Dabei ergab eine nach dem Erdbeben vom 13. Januar 2001 (Stärke 7,6 auf der Richterskala) von der salvadorianischen Regierung durchgeführte Untersuchung, dass Gebäude aus Lehmsteinen nicht stärker betroffen waren als andere Gebäude aus Ziegeln oder Natursteinen. Zudem ist es so, dass in den letzten Jahrhunderten viele historische Lehmbauten mehrere starke Erdbeben überstanden haben, zum Beispiel die Häuser der Hakka in China (Abb. 1) und die Fincas mit dicken Stampflehmwänden in Argentinien. Aber auch Häuser mit leichten Dächern und flexiblen Wänden aus Flechtwerk und Lehm, wie das Gebäude in Guatemala (Abb. 2) haben Erdbeben aufgrund ihrer Duktilität (Flexibilität) überstanden. Diese Beispiele beweisen, dass für das Bauwerksversagen nicht das Baumaterial Lehm, sondern vor allem die Topografie des Gebäudestandortes, die Form des Grundrisses, die konstruktive Ausbildung des Gebäudes und die Ausbildung der Fenster- und Türöffnungen maßgebend ist, wie im Folgenden erläutert wird.

Konstruktive Maßnahmen

Um für Gebäude eine möglichst hohe Erdbebensicherheit zu erreichen, sollten folgende Punkte beachtet werden:

  1. Gebäude sollten nicht an einem Berghang errichtet werden (Abb. 3).
  2. Die Grundrisse sollten möglichst kompakt und symmetrisch sein; runde sind am besten und quadratische sind besser als rechteckige.
  3. Die verschiedenen Teile eines Gebäudes sollten weder Fundamente auf verschiedenen Ebenen noch unterschiedliche Höhen haben; wenn doch, dann sollten sie konstruktiv getrennt werden (Abb. 4).
  4. Die Fundamente sollten entweder wie steife Ringanker wirken und daher bewehrt werden, oder sie sollen als „schwimmende Fundamente“ (floating foundations) aus runden Kieselsteinen ausgebildet werden.
  5. Fundamente, Wände und Dächer müssen gut miteinander verbunden sein.
  6. Mauerwerk muss vollständig gefüllte dünne Fugen aus festem Mörtel aufweisen.
  7. Tragende Wände aus Mauerwerk sollten eine Mindestdicke von 30 cm haben; ihre Höhe sollte das Achtfache ihrer Dicke nicht überschreiten.
  8. Mauerwerkswände sollten mindestens alle 4 m mit Pfeilern mit Mindestquerschnitten von 30 × 30 cm ausgesteift sein (Abb. 5).
  9. Türöffnungen sollten durch Wandvorsprünge oder Holzrahmen versteift werden.
  10. Wände müssen oben mit einem Ringanker abgeschlossen werden, der fest mit den Wänden verbunden ist.
  11. Stürze über Türen und Fenstern sind zu vermeiden, die Öffnungen sollten bis zum Ringbalken reichen. Wenn Stürze geplant sind, so sollten sie mindestens 40 cm ins Mauerwerk reichen (Abb. 6).
  12. Die Dächer sollten so leicht wie möglich sein. Schwere Dächer mit Steinplatten oder Dachziegel sollten grundsätzlich vermieden werden.
  13. Da während eines Erdbebens die Verformung von Gebäuden mit ihrer Höhe stark zunimmt, ist es ratsam, bei zweigeschossigen Gebäuden das Erdgeschoss mit massiven Wänden zu planen und das Obergeschoss möglichst leicht und duktil auszubilden, vorzugsweise mit einer flexiblen Rahmenkonstruktion z.B. aus Holz, Flechtwerk und Lehmbewurf.
  14. Fenster- und Türöffnungen destabilisieren ein Gebäude und sollten deshalb genügend Abstand voneinander haben (Abb. 7). Horizontal liegende Fenster sollen vermieden werden. Die Breite eines Fensters sollte nicht mehr als 1,2 m und nicht mehr als 1/3 der Länge der Wand betragen. Die Länge der Wände zwischen den Öffnungen soll mindestens 1/3 ihrer Höhe betragen und muss mindestens 1 m betragen.
  15. Türen müssen nach außen öffnen. Gegenüber der Eingangstür sollte sich als Notausgang ein großes Fenster oder eine weitere Tür befinden.

Typische baukonstruktive Fehler

Im Rahmen eines Projektes des Forschungslabors für Experimentelles Bauen (FEB) der Universität Kassel wurden die Ursachen untersucht, die zu Erdbeben-Bauschäden an eingeschossigen Lehm-Mauerwerksbauten in den Andenregionen Südamerikas geführt haben. In Abb. 8 sind die 10 häufigsten Fehler aufgeführt.

1: Ringbalken fehlt
2: Stürze nicht weit genug im Mauerwerk verankert
3: Abstand zwischen Fenster und Tür zu gering
4: Abstand zwischen Öffnungen und Wandecke zu gering
5: Kein wasserfester Sockel bei Lehmmauerwerk
6: Fenster ist zu breit im Verhältnis zu seiner Höhe (Liegende Fenster sind zu vermeiden)
7: Die Wand ist zu dünn im Verhältnis zu ihrer Höhe
8: Die horizontalen Mörtelfugen sind zu dick (höher als 15 mm). Der Mörtel ist zu mager (hat zu wenig Bindekraft)
9: Das Dach ist zu schwer
10: Das Dach ist weder fest mit der Wand verbunden noch auf getrennten Stützen gelagert

Beispiel I

Eine bambusarmierte Stampflehmtechnik wurde 1978 im Rahmen eines Forschungsprojekts des FEB, Universität Kassel entwickelt und gemeinsam mit der Universität Francisco Marroquín, Guatemala und dem Zentrum für Angewandte Technologie (CEMAT) in Guatemala errichtet (Abb. 9). Die Wände bestehen aus T-förmigen, 80 cm breiten, geschosshohen Stampflehmelementen, die mit vertikalen Bambusstäben bewehrt sind (Abb. 10). Die Wandstärke beträgt nur 14 cm. Die Elemente sind aber in der Mitte durch integrierte Rippen 30 cm dick und jeweils mit vier 2 bis 3 cm dicken Bambusstäben bewehrt. Die Bambusstäbe sind oben und unten mit einem horizontalen Bambus-Ringanker verbunden (Abb. 11). Der untere ist in dem 50 cm hohen Natursteinsockel integriert. Die Elemente werden mit einer nur 40 cm hohen T-förmigen Metallschalung in einem kontinuierlichen vertikalen Prozess gestampft, um nach dem Austrocknen die bei üblichen horizontal ausgeführten Stampflehmtechniken häufig auftretenden horizontalen Schwindrisse zu vermeiden. Die vertikalen Fugen zwischen den Elementen, die nach dem Austrocknen 1 bis 2 cm breit waren, wurden mit Lehm verfüllt und bilden bei Erdbebenstößen „Sollbruchstellen“. Dadurch erhält die Wand eine Duktilität (Flexibilität), sodass die kinetische Energie der Erdstöße durch Formänderung in der Wand abgebaut werden kann. Eine zweite Besonderheit, die zur Erdbebenstabilität des Gebäudes beiträgt, ist die Tatsache, dass die Dachkonstruktion nicht auf den Wänden, sondern auf separaten Holzstützen ruht, die 50 cm von der Wand entfernt sind, somit kann sich die Dachkonstruktion während eines Erdbebens unabhängig von der Wandkonstruktion bewegen (Abb. 12).

Beispiel II

Das FEB entwickelte ein weiteres System für bewehrte Stampflehmwände, das für ein kostengünstiges Wohnungsbauprojekt in Zusammenarbeit mit der Universität von Santiago de Chile in Alhué, Chile 2001 gebaut wurde (Abb. 13 und 14). Die Wände bestehen aus U- und L-förmigen 40 cm dicken Stampflehmelementen, die sich durch ihre abgewinkelte Form gegen Umkippen selbst stabilisieren. Sie sind zusätzlich mit 3 bis 5 cm dicken Bambusstangen verstärkt. Getrennt sind die Stampfelemente durch Fenster- oder Türelemente. Die Fenster reichen oben bis zum Ringbalken und weisen unten ein lehmgefülltes Flechtwerk auf. Das gleiche wurde über der Tür angebracht. Die Dachkonstruktion steht auf von der Wand getrennten Holzstützen, damit sich die unterschiedlichen Systeme bei starken Erdstößen unabhängig voneinander bewegen können.

Beispiel III

Nach dem Erdbeben 2015 in Pakistan mit einer Stärke von 7,7 nach der Richterskala erarbeitete der Autor zusammen mit Hans-Peter Schmidt vom Ithaka Institut Arbaz, Schweiz Lösungen für einfache Häuser aus lokalen Materialien, welche die betroffenen Landbewohner in Eigenleistung erstellen konnten. Für die Wände wurde eine Bauweise mit erdgefüllten Säcken gewählt. Als Grundriss wurde eine rechteckige und eine kreisförmige Form vorgeschlagen. Das runde Gebäude erwies sich in der Herstellung sehr viel einfacher und zeigt eine stärkere Erdbebenstabilität. Es hat einen Durchmesser von 6 m und bietet Lebensraum für eine Bauernfamilie von 6 bis 8 Personen, die die meiste Zeit im Freien verbringt und das Gebäude hauptsächlich zum Schlafen, Kochen und Lagern nutzt (Abb. 15). Das Fundament besteht aus grobem Kies und Flusssteinen und bildet ein sogenanntes „schwimmendes“ Fundament, das einen großen Teil der kinetischen Energie von Erdstößen durch seine Duktilität absorbieren kann. Für die Wände wurden 70-Liter-Reissäcke mit lokaler lehmiger Erde gefüllt, zugenäht und übereinandergeschichtet. Dabei wurden sie mit Stampfern per Hand verdichtet und jeweils mit vier Bambusstäben mit der darunter liegenden Schicht verbunden. Außerdem wurden alle 2 m ein 50 cm langen 6 mm dicker Bewehrungsstahl eingeschlagen. Um eine maximale Erdbebensicherheit zu erreichen, wurde als Wandabschluss ein Stahlbeton-Ringbalken gewählt, der alle 20 cm mit 50 cm langen Bewehrungseisen mit der Wand verbunden wurde (Abb. 16). Die Wände wurden mit Lehm verputzt (Abb. 17). Um Regenfestigkeit zu gewährleisten, wurde dem Außenputz 10 % Kalk zugesetzt und ein zusätzlicher Kalkanstrich vorgesehen. Das Dach wurde aus Balken der eingestürzten Häuser erstellt und mit Büscheln aus lokalem Gras abgedeckt (Abb. 18). Der Rohbau konnte in 7 Tagen errichtet werden, wobei etwa 10 Helfer unter Leitung von einem erfahrenen Handwerker arbeiteten. Der Ausbau dauerte weitere 7 Tage. Die Materialkosten betrugen umgerechnet 861 US-Dollar, der Bauleiter erhielt 103 US-Dollar, die Helfer waren in der Regel die zukünftigen Bewohner und deren Verwandte, die unentgeltlich arbeiteten. Weitere Infos zu diesem Projekt: Erdbebensichere Selbstbauhäuser

Beispiel IV

Bei dem Erdbeben, das im Dezember 2003 in Bam, Iran stattfand, stürzten nahezu alle Gebäude ein, unabhängig davon, aus welchem Material und wie sie gebaut waren. Interessanterweise blieben aber einige tonnenförmige Lehmhäuser teilweise bestehen. Der Autor entwickelte daraufhin die Idee von vorgespannten Lehm-Tonnengewölben und ließ ein 1:1-Modell mit 4 m Spannweite auf dem Erdbeben-Rütteltisch der Katholischen Universität in Lima, Peru testen. Das aus 20 cm dicken und 40 cm langen Lehmsteinen gemauerte Gewölbe wurde alle 40 cm mit am Betonfundament befestigten Stahlbändern überzogen und diese mit einem Drehmomentschlüssel angespannt (Abb. 19). Während der Erdbebensimulation verformte sich das Gewölbe sehr stark, wurde aber durch die Spannbänder immer wieder in seine Ausgangsform zurückgezogen (Abb. 20). Der Mörtel zwischen den Lehmsteinen bröckelte und fiel teilweise herab, das Gewölbe aber blieb bestehen. Wichtig bei diesen Gewölben ist, dass die Front nicht massiv ausgebildet wird, sondern aus einem flexiblen Holzgeflecht mit Lehmbewurf besteht (21).

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Quellenangaben und/oder Fußnoten:

Titelbild: Adobe Stock, Negro Elkha
Abbildungen 01–21: Gernot Minke

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