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Architekt Jan Glasmeier | Bild: David Richards

Jan Glasmeier gab 2011 seinen profitablen Job in Singapur auf und baut seither für burmesische Flüchtlinge im Norden Thailands: Mit minimalem Budget gelingt ihm eine Poetik des Wesentlichen.

550 Euro im Monat bekam Jan Glasmeier als Berater der Flüchtlingsklinik im thailändischen Mae Sot an der burmesischen Grenze. “Davon kann man dort bescheiden leben”, sagt er. 35 Gebäude, von der Tuberkulose-Station bis zur Leichenhalle, plante und baute er dafür, mit den Migrant*innen und Helfer*innen aus aller Welt. 

Zunächst war Glasmeier nur seiner britischen Frau gefolgt, die für die Klinik Spenden einwarb. Doch dann wurde aus dem Atemholen mehr: Im Job bei Arup in Singapur hatte er sich wie ein kleines Rädchen gefühlt. Seine Verbesserungsvorschläge wurden oft kurzerhand vom Tisch gewischt – “es ging nur um Profit und Konkurrenz”, erzählt er.

Kwel-Ka-Baung Schule:
(1) Mit wenig viel erreichen
(2) Trotz niedrigen Budget lassen sich dank Naturmaterialien simmungsvolle Klassenräume schaffen
(3) Schule für Migranten aus Myanmar an der thailändischen Westgrenze
Quellen Bildmaterial:
(1) Abel Echeverria | (2-3) Franc-Pallares-Lopez

Ein Klassenzimmer für 25 Euro je Quadratmeter

In der boomenden, multi-ethnischen Kleinstadt Mae Sot brauchte man ihn für lebenswichtigere Dinge. Bald fand Glasmeier Gleichgesinnte, mit denen er auch andere Non-Profit-Projekte realisieren konnte. Vor allem ging es hier stets ums den gesamten Bauprozess: “Es ist eine ganz andere Form der Kreativität”, schwärmt er. “Ich musste hier nie eine Ansicht zeichnen.” 

Er ließ sich von Einheimischen den Lehmbau mit Reishülsen zeigen und wurde ein Meister im Improvisieren. Obwohl er gern mit Menschen arbeitet und bald etwas Thai und Burmesisch sprach, musste er sich an die andere Lebens- und Arbeitsweise der Menschen erst gewöhnen, den “Kontrollverlust”, wie er es nennt. “Ich habe hier genauso viel gelernt wie umgekehrt”, gesteht er.

Etwa, ein Klassenzimmer für 1.300 Dollar zu bauen, also für 25 € pro Quadratmeter. Für die Deckenträger schusterten sie Altholz zusammen. Als Belastungsprobe genügte ein Mittagsschlaf in der daran befestigten Hängematte. Wände modellierten sie meist aus dem Aushub der Baustelle, den sie zuvor mit Reishülsen vermengt, zu Ziegeln geformt und getrocknet hatten.

Oder Schlafsäle aus Bambus errichten. Auch hier nahm das Team, was es vor Ort finden konnte. Die am Boden vormontierten Quer-Joche aus Holzbalken konnten wenige Helfer aufrichten und in Längsrichtung fixieren. Die Kammern wurden durch einfaches Geflecht abgeteilt, das Dach mit Blättern gedeckt – eine luftige Lösung, nicht für die Ewigkeit gedacht, doch sehr funktional.

In solchen Konstruktionen zeigt sich ein bemerkenswertes Cross-over der Kulturen: Während das abgespeckte Tragwerk die “westliche” Schulung erkennen lässt, nehmen Kontur und Materialität klar auf lokale Ressourcen Rücksicht. 

Mae Tao Klinik:
(4) Temporäre kostengünstige Gebäude gegen den Mangel an Unterkünften
(5) Nachhaltiger organischer Materialmix: recyceltes Holz, Bambus, Schilf mit Dachdeckung aus Blättern
(6) Alle verwendeten Materialien sind lokal verfügbar und ermöglichen so eine einfache Wartung
(7) Die traditionelle Baukunst wurde geschickt aufgegriffen und mit Arbeitskräften vor Ort umgesetzt
(8) Der offene luftige Innenraum kann je nach Bedarf in kleinere Abteile abgetrennt werden
Quellen Bildmaterial:
(4-7) Franc Pallarès-López | (8) Allyse Pulliam

“Bauen für eine bessere Welt”

Bald wurden Medien auf die innovative Pro-bono-Arbeit des Teams aufmerksam. Sogar im fernen Europa errang es einen Detail-Preis und wurde ins Deutsche Architekturmuseum eingeladen: “Think global, build social – Bauen für eine bessere Welt” hieß 2013 die Schau.

Die Anerkennung lockte freiwillige Helfer von westlichen Hochschulen an, wo Design build-Projekte beliebter wurden. Und auch Spendengelder flossen etwas leichter, so dass auch mal Stahlträger, Beton und Trapezblech zum Einsatz kamen.

In Thailand selbst ergaben sich mit der Zeit sogar ein paar besser bezahlte Aufträge. Obwohl Architektur hier als Luxusobjekt gilt und man generell sehr statusbewusst baut – Beton gilt als modernes Nonplusultra – , gelang es dem Agora architects getauften Team (mit Albert Company Olmo und Line Ramstad), eine Reihe bescheidener Wohnhäuser zu realisieren. Oft kontrastieren darin klare Dachkonstruktionen mit geschwungenen, nichttragenden Lehmziegelwänden.

Araksa Tea House:
(9) Teehaus für eine ökologische Plantage
(10) Die Lehmziegelwände wurden mit weißem Lehm aus der Region verputzt
(11) Filigranes Dachtragwerk mit handgefertigten Dachziegeln aus einer lokalen Fabrik
(12) Als Stützen dienen alte Baumstämme die sich vor Ort fanden
Quelle Bildmaterial:
(9-12) Simple.Architecture

Zuletzt entstand auf einer ökologischen Plantage ein großzügiges Teehaus. Als dessen Stützen dienen alte Baumstämme, die sich vor Ort fanden. Das Dach besteht aus lokal hergestellten Lehmziegeln.

Solche Aufträge erledigte Jan Glasmeier an der Grenze der Legalität. Während die Klinik- und Sozialbauten stets informell genehmigt oder als temporär geduldet wurden, könnte er in Bangkok nicht so einfach als Architekt arbeiten. Dafür müsste er eine Prüfung auf Thai ablegen, das er nicht ausreichend beherrscht. Thailand hat selbst eine hoch entwickelte Baukultur, und er weiß die ihm bislang entgegengebrachte Toleranz zu schätzen. “Stellen Sie sich vor, ein thailändischer Architekt würde hier bei uns einfach anfangen zu arbeiten. Da würde er sofort belangt.” 

Wohltätigkeit zwischen den Welten

Inzwischen firmiert Glasmeier unter dem Namen Simple.Architecture und ist mit seiner Frau wieder nach London übergesiedelt. Bis kurz vor der Corona-Krise hat er mit Studierenden, u. a. von der FH Coburg, noch kleinere Gebäude in Mae Sot realisiert. Und solche Design-build-Projekte, für die er oft auch die Spendengelder mobilisiert, möchte er dort weiterhin betreuen – “etwa zehn Wochen im Jahr” sind geplant, “auch wenn der ökologische Fußabdruck der weiten Flugreisen manchmal fragwürdig ist”, wie er zugibt. Nicht nur wegen der Pandemie versucht er deshalb, mehr online abzuwickeln. 

Temporäre Klassenräume in Mae Sot, Thailand:
(13) Die Schulgebäude aus Naturmaterialien können bei Bedarf schnell errichtet werden und fügen sich problemlos in die Umgebung ein
(14) Die Dachdeckung aus Eukalyptus und Schilf lässt sich durch lokale Handwerker leicht warten
(15) Temporäres Schulgebäude für Flüchtlinge aus Myanmar
Quelle Bildmaterial:
(13-15) Franc-Pallares-Lopez

So betreut er einen Tag in der Woche online Studierende im Ecotopia-Projekt der FH Augsburg, das ein Öko-Resort in Sri Lanka konzipiert. Auch einen Schulbau in Uganda plant er derzeit komplett aus der Ferne, mithilfe eines Kontaktmannes vor Ort.

Daneben hat Glasmeier einen regulären Lehrauftrag am BaseHabitat der Kunstuni Linz, einem Aufbaustudiengang für nachhaltiges und soziales Bauen. Dort lehrt auch Anna Heringer, die seit langem ähnlich wie er Baukulturgrenzen überschreitet. Mit den Studierenden hat er gerade in Altstetten in der Schweiz einen Lehmbau-Pavillon errichtet, was ihn zu Geduld zwang: “Der Lehm braucht hier zehn Tage zum Trocknen, in Thailand zwei.”

Für Vorträge über “community architecture” und partizipatorisches Bauen kommt der 46-jährige gern immer wieder in die alte Heimat – aufgewachsen ist er in Gelsenkirchen, studiert hat er an der TH Darmstadt. International gut vernetzt, kommt er auch finanziell über die Runden: “Ich kann es mir erlauben, nicht mehr für andere zu arbeiten.”

Farmhouse:
(16) Die Lehmziegel werden in Gemeinschaftsarbeit vor Ort hergestellt
(17) Wände aus Lehmziegel trocknen in Thailand in zwei Tagen
(18) Nichttragende geschwungene Lehmwände unter klarer Dachstruktur dominieren in Bauweise
(19) Einfache Dachdeckung durch Blätter
Quelle Bildmaterial:
(16-19) Bill Köhntopp

Erstveröffentlichung: Deutsches Architektenblatt DAB 3/2021

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  1. Welch wunderschöne Ästhetik,
    mit Materialien die direkt aus der Natur stammen und minimalem Budget, erreichbar ist.
    Martin Gütter von Gütter Naturbaustoffe

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